Der bekannteste Ausspruch Marie-Antoinettes (1755–1793) wurde längst als Fake erkannt: „Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen.“ Der Satz wird erstmals bei dem Philosophen Jean-Jacques Rousseau fassbar, der ihn wohl einer umlaufenden Anekdote entnommen hatte. Aber das bösartige Zitat, mit dem die französische Königin die Not vieler Untertanen kommentiert haben soll, zeigt einmal mehr, dass sie einen idealen Spielball in der politischen Arena abgab.
Denn das 15. Kind der österreichischen Kaiserin Maria Theresia war keineswegs auf den Tag vorbereitet, der ihr Leben von Grund auf veränderte: Am 16. Mai 1770 heiratete sie den Dauphin von Frankreich, dessen Königin sie an der Seite Ludwigs XVI. vier Jahre später wurde. Die Verbindung hatte nichts mit Liebe, sondern nur mit Politik zu tun, doch dafür fehlte der 14-jährigen Erzherzogin Maria Antonia, die am 7. Mai 1770 auf einer Rheininsel bei Straßburg von ihrem Gefolge getrennt und neu angekleidet zu Marie-Antoinette wurde, jedes Verständnis.
Schon als Kind zeigte Maria ein Talent, sich jedem Unterricht zu entziehen, sei es durch mangelnde Konzentration oder Flucht in den Garten. Man ließ das durchgehen, weil angesichts der Kinderschar der Kaiserin wirklich große Partien älteren Geschwistern vorbehalten waren. Das änderte sich schlagartig Ende der 1760er-Jahre, als das Bündnis zwischen Frankreich und Österreich unter Druck geriet. Zwar war es durch einige Ehen zwischen Bourbonen und Habsburgern bestätigt worden, doch nun sollte es auch im königlichen Bett geschlossen werden. 1769 hielt Ludwig XV. offiziell für seinen Enkel um die Hand Marias an.
Der war 16 Monate älter als die Braut, doch ähnlich unvorbereitet, weniger auf dem gesellschaftlichen als auf dem erotischen Parkett. Vermutlich wegen einer Vorhautverengung wurde die Ehe über Jahre hinaus nicht vollzogen. Das Ausbleiben von Kindern wurde jedoch Marie-Antoinette vorgeworfen und machte die Liste ihrer Fehltritte immer länger. Der Mangel an Bildung und Sprachkenntnissen erschwerte ihr den Zugang zu der komplexen Hofgesellschaft von Versailles, in der die Tanten ihres Mannes und die Mätressen seines Großvaters Intrigen spannen.
Falsche Parteinahmen, strenge Ermahnungen (und politische Ansprüche) der Mutter, Verdächtigungen, auch sexuelle Beziehungen zu anderen Männern oder gar Frauen zu unterhalten, ihre Arroganz, mit der sie ihre Unsicherheit zu kaschieren suchte, die Sucht nach Luxus und Spielen, deren enorme Kosten bald die Runde machten, das alles sorgte dafür, dass Marie-Antoinette auch nach der Thronbesteigung ihres Mannes eine Fremde am Hof blieb.
Als 1778 doch das erste Kind, eine Tochter, geboren wurde (ihr kaiserlicher Bruder Joseph II. soll bei einem Besuch seinem Schwager den Weg gewiesen haben), stiegen ihre Sympathiewerte für kurze Zeit. Doch die Belastungen durch den Krieg gegen England machten einmal mehr die dramatische Finanzsituation des Königreiches deutlich, dessen Untertanen von zahlreiche Missernten heimgesucht wurden.
Ihre Verstrickung in die sogenannte Halsband-Affäre, in der Betrüger sich den Preis für ein sündhaft teures Collier erschlichen, stempelte Marie-Antoinette in den Augen des Publikums endgültig zur Unperson, der auch der eingangs zitierte Satz glaubhaft in den Mund gelegt werden konnte. Ihr Rückzug aus der Öffentlichkeit konnte das Verhältnis nicht mehr kitten.
So wurde die Königin zwar nicht zu einer Ursache für den Ausbruch der Revolution, wohl aber zu einem Symbol für den Bankrott des Ancien Régime. Dafür folgte sie am 16. Oktober 1793 ihrem Mann unter die Guillotine.
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Dieser Artikel wurde erstmals im Mai 2021 veröffentlicht.