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Geschichte Energiepolitik 1950 bis 1973

„Die Bundesregierung reagierte nur noch“

Von der Kohlenkrise bis zum Ölpreisschock: Auf keinem zentralen Politikfeld handelte die Bundesrepublik derartig konfus wie bei der Versorgung mit Strom, Wärme und Kraftstoff. Die Kernenergie sollte die Lösung bringen. Ein Rückblick auf Pleiten, Pech und Pannen.
Leitender Redakteur Geschichte
Siebziger Jahre, Schwarzweissfoto, Wirtschaft, Steinkohlenbergbau, Kokerei Prosper, RAG Deutsche Steinkohle AG, zur Zeit des Fotos 1978 Zentralkokerei, Ruhrkohle AG, Route der Industriekultur, Panorama, Gegenlicht, Silhouette, D-Bottrop, D-Bottrop-Welheim, Ruhrgebiet, Nordrhein-Westfalen, Seventies, black and white photo, economy, hard coal mining, coking plant Prosper, RAG Deutsche Steinkohle AG, at the time of the picture 1978 Central Cokery, Ruhrkohle AG, Route of Industrial Heritage, panoramic view, backlight, silhouette, D-Bottrop, D-Bottrop-Welheim, Ruhr area, North Rhine-Westphalia Siebziger Jahre, Schwarzweissfoto, Wirtschaft, Steinkohlenbergbau, Kokerei Prosper, RAG Deutsche Steinkohle AG, zur Zeit des Fotos 1978 Zentralkokerei, Ruhrkohle AG, Route der Industriekultur, Panorama, Gegenlicht, Silhouette, D-Bottrop, D-Bottrop-Welheim, Ruhrgebiet, Nordrhein-Westfalen, Seventies, black and white photo, economy, hard coal mining, coking plant Prosper, RAG Deutsche Steinkohle AG, at the time of the picture 1978 Central Cokery, Ruhrkohle AG, Route of Industrial Heritage, panoramic view, backlight, silhouette, D-Bottrop, D-Bottrop-Welheim, Ruhr area, North Rhine-Westphalia
Einst Symbol für Wohlstand, dann nur noch für Rückständigkeit – die Kokerei Prosper in Bottrop
Quelle: picture alliance/United Archives

Wenn zunehmende Nachfrage auf ein sinkendes Angebot trifft, dann steigen unausweichlich die Preise. Ökonomisch ist das eine ziemlich schlichte Einsicht, die kleinen oder größeren Unternehmern ebenso vertraut ist wie gelernten Volkswirten. Trotzdem traf eben diese Einsicht Ende 1973 die Bundesrepublik weitgehend unvorbereitet. Pleiten, Pech und Pannen prägen die (west-)deutsche Energiepolitik nicht erst seit dem Beschluss zum Atomausstieg 2011, sondern schon viel länger.

Bald nach dem Zweiten Weltkrieg griff man beim Thema Strom- und Wärmeversorgung auf die jüngere Vergangenheit zurück. So wurde das Energiewirtschaftsgesetz von 1935 Teil des neuen Bundesrechts. In dessen Präambel hieß es: Um „die Energieversorgung so sicher und billig wie möglich zu gestalten“, seien „volkswirtschaftlich schädliche Auswirkungen des Wettbewerbs zu verhindern“. Faktisch bedeutete das, dass Monopolbetriebe, meist regionale Versorger in Staats- oder Stadtwerken im kommunalen Besitz, alle an Leitungen gebundenen Formen von Energie anbieten sollten, also Strom, Stadtgas aus Kohlevergasung und Fernwärme. Nicht betroffen davon waren nur die per Tanklastwagen ausgelieferten Energieträger Heizöl, Benzin und Diesel sowie Brennmaterial für Öfen.

Gasolin-Tankstelle/VW-Kabriolett/Foto Verkehr / Automobil: Tankstelle. - Gasolin-Tankstelle in Bremen, im Vordergrund ein VW-Kaefer-Kabriolett.- Foto, 1958.
Eine Gasolin-Tankstelle in Bremen 1958
Quelle: picture-alliance / akg-images

Der bei Weitem wichtigste Energieträger in Westdeutschland war zunächst die heimische Steinkohle, gefördert vor allem rund um Aachen, im Ruhrgebiet sowie im Saarland, das allerdings erst seit dem 1. Januar 1957 zur Bundesrepublik gehörte. Zwischen 1949 und 1973 verdreifachte sich der Energieverbrauch nahezu.

Zugleich veränderte sich der „Energiemix“ stark. Im Zuge des „Wirtschaftswunders“ stieg nämlich der Anteil des Erdöls am Verbrauch stetig – von weniger als fünf Prozent 1950 auf etwas mehr als 45 Prozent 1971. Die Steinkohle dagegen, die 1956 mit 70,6 Prozent Anteil ihren absoluten Höhepunkt erreicht hatte, sank auf nur noch 26,6 Prozent Anfang der 1970er-Jahre; die heimische Braunkohle glich das nur zum kleinen Teil aus, obwohl die absolut daraus gewonne Energiemenge um die Hälfte zunahm. Weil gleichzeitig die ohnehin geringe Ölförderung in Westdeutschland um ein Siebtel sank, musste der Anteil des importierten Erdöls stark zunehmen. Damit wurde die Bundesrepublik abhängig von anderen Staaten.

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Da hatte das Land schon manche energiepolitischen Fehler hinter sich. Der marktwirtschaftlich an sich konsequenten Aufhebung der staatlich regulierten Kohlebewirtschaftung im April 1956 folgte wenige Monate später die Befreiung der Heizölimporte vom Zoll, um den zeitweiligen Anstieg der Kohlepreise zu bremsen – der war zwar erwartbar gewesen, aber dennoch nicht vorbereitet. Gleichzeitig drängte importierte Kohle auf den deutschen Markt, für die hier nun mehr gezahlt wurde als andernorts.

Vor der Kulisse der Schachtanlage Prinzregent in Bochum arbeitet ein Mann in seinem Kleingarten, aufgenommen 1958. Wegen der Absatzkrise im Steinkohlebergbau mussten die Kumpel im Jahr 1958 etliche Feierschichten einlegen. [dpabilderarchiv]
Vor der Kulisse der Schachtanlage Prinzregent in Bochum und deren Kohlenhalden arbeitet 1958 ein Mann in seinem Kleingarten
Quelle: picture-alliance / dpa

Auch mit der nächsten Volte auf dem Energiemarkt hatten die Verantwortlichen im Bonner Wirtschaftsministerium nicht gerechnet: Im Herbst 1957 schlug der bisherige Mangel an Kohle (eigener wie importierter) auf einmal in ein Überangebot um – mit der Folge deutlich sinkender Preise. Schon 1958 wuchsen die Kohlehalden schnell, was zu unbezahlten „Feierschichten“ für die Bergleute führte, faktisch einer Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich. Nur Subventionen retteten die heimische Steinkohleförderung vor dem Kollaps.

Der Markt bevorzugte damals wie stets den billigsten Preis und nahm auf ebenfalls wichtige Fragen wie Versorgungssicherheit wenig Rücksicht. Hier hätte eine verantwortungsvolle Energiepolitik ansetzen müssen. Doch die zunächst einzige Alternative zum Erdöl (die neuartige Kernenergie war noch im Versuchsstadium), der Import von Erdgas, scheiterte an außenpolitischen Problemen.

Zwar setzte die westdeutsche Industrie schon seit den ausgehenden 1950er-Jahren, nach der Erfahrung der Kohlenkrise von 1957/58, auf einen neuen Energieträger aus dem Osten: In der asiatischen Sowjetunion wurden zu dieser Zeit immer mehr Erdgasfelder entdeckt. Doch vor Ort war dieser Energieträger fast wertlos. Bundesdeutsche Konzerne wie Mannesmann verfügten jedoch weltweit mit über die größte Expertise bei der Herstellung von Röhren, wie man sie für Pipelines benötigte.

Ereignisse und Milieu im Ruhrgebiet in den Jahren 1965 bis 1971. Zeche im Bergbau.
Typsches Bild aus dem Ruhrgebiet in den 1960er-Jahren. Kernkraft sollte die Kohlekraftwreke ersetzen
Quelle: picture alliance / Klaus Rose

Westdeutsche Firmen schlossen, mit Unterstützung aus Bonn, Vorverträge mit Moskau. Doch die USA setzten im Herbst 1962 für die gesamte Nato ein Exportverbot für Röhren Richtung Ostblock durch. Die westdeutsche Röhrenindustrie durfte ihre bereits unterzeichneten Lieferabkommen nicht mehr erfüllen. Damit wollte die Regierung von Präsident John F. Kennedy verhindern, dass die Bundesrepublik, immerhin einer der wichtigsten Partner Washingtons im Kalten Krieg, langfristig von sowjetischen Energielieferungen abhängig werden würde.

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Also nahm der Import von billigem Erdöl weiter zu. Denn die zunehmende Integration der westdeutschen Wirtschaft in den Weltmarkt ließ günstige Energie gerade für exportorientierte Unternehmen wichtiger erscheinen als die teure Sicherheit durch heimische Ressourcen. „Die Kohleschutzpolitik der Bundesregierung“, urteilt der Politologe Thomas Saretzki, „wirkte in den Jahren zwischen der ersten Kohlenkrise 1957/58 und der zweiten Kohlenkrise 1965 insgesamt unentschieden und widersprüchlich.“

Erst mit der kurzlebigen, keine drei Jahre amtierenden Großen Koalition von Ende 1966 bis Herbst 1969 begann eine ansatzweise vorausschauende Energiepolitik. Um die nun als Risiko erkannte Abhängigkeit von importierter Energie zu reduzieren, setzte der neue Wirtschaftsminister Karl Schiller auf Kernkraftwerke für die Stromproduktion. Das erste, noch relativ leistungsschwache Demonstrationskraftwerk in Grundremmingen lieferte zwar bereits seit dem 1. Dezember 1966 Strom ins Netz. Doch erst die staatliche Förderung der Atomtechnologie durch die neue Regierung bewog die großen Energieversorger, ab 1967 kommerzielle Kraftwerke in Auftrag zu geben. Freilich brauchten sie mindestens zehn Jahre bis zur Inbetriebnahme.

Der libysche Revolutionsführer Muammar el Gaddafi, aufgenommen im September 1969 nach dem Putsch. Gaddafi gelangte nach einem Militärputsch gegen König Idris I. am 01.09.1969 an die Macht. Er wurde nach dem Pusch Oberbefehlshaber der Streitkräfte und als Vorsitzender des Revolutionären Kommandorats Staatschef (1970 bis 1972 zugleich Regierungschef). Ab 1977 war er gewähltes Staatsoberhaupt. Im März 1979 trat Gaddafi von seinen Ämtern zurück, behielt jedoch als "Revolutionärer Führer" weiter die Macht in seiner Hand. Foto: AFP +++(c) dpa - Report+++
Der libysche Revolutionsführer Muammar el Gaddafi, aufgenommen im September 1969
Quelle: picture-alliance/ dpa

Zunächst blieb also neben der teuren einheimischen Steinkohle nur die günstigere Importkohle und vor allem das billige Erdöl. Der wichtigste Lieferant der Bundesrepublik war das Königreich Libyen. Doch die politischen Wirren im Nahen Osten nach Israels erfolgreichem Präventivschlag im Sechs-Tage-Krieg 1967 fegten zwei Jahre später das prowestliche Regime des libyschen Königs Irdis fort. Neuer Machthaber war der panarabische Muammar al Gaddafi.

Deutschlands Import aus Libyen ging in den folgenden Jahren nun deutlich zurück, dafür sprangen andere Staaten des Nahen Ostens wie das fundamentalistisch-muslimische Saudi-Arabien ein. „Die Bundesregierung agierte nicht mehr, sie reagierte nur noch, betrieb ausschließlich Krisenmanagement“, urteilt der Zeithistoriker Tim Szatkowski.

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Die Bundesrepublik war nun energiepolitisch abhängig von Staaten, die Israel kategorisch ablehnten und lieber früher als später auslöschen wollte. Da mochte es als Ausweg erscheinen, dass die westdeutsche Industrie das 1962 gescheiterte Röhrengeschäft wiederbelebte. Im Februar 1970 hatten sich Konzerne wie Mannesmann und Thyssen mit der deutschen Finanzwirtschaft mit der Sowjetunion auf ein kompliziertes Dreiecks-Geschäft geeinigt: Bundesdeutsche Unternehmen lieferten die Röhren, um Pipelines von Sibirien nach Mitteleuropa zu bauen. Nach Fertigstellung der Leitungen sollten die Kosten über 20 Jahre hinweg durch teilweise kostenlose, teilweise verbilligte Gaslieferungen bezahlt werden. Die Deckungslücke schlossen Kredite eines Konsortiums aus 17 deutschen Banken.

Bundeswirtschaftsminister Professor Dr. Karl Schiller (l) und der sowjetische Außenhandelsminister Nikolai S. Patolitschew (r) nach der Unterzeichnung des deutsch-sowjetischen-Handelsabkommens am 1. Februar 1970. In Essen wird mit dem Erdgas-Röhren-Geschäft das bisher größte Ost-West-Wirtschaftsabkommen abgeschlossen. In drei Verträgen wird die Lieferung von sowjetischem Erdgas in die Bundesrepublik, die Lieferung von Großröhren von der Firma Thyssen/Mannesmann in die Sowjetunion sowie die Vergabe von Krediten geregelt. [dpabilderarchiv]
Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller und der sowjetische Außenhandelsminister Nikolai S. Patolitschew (l.) beim deutsch-sowjetischen Röhrendeal am 1. Februar 1970
Quelle: picture-alliance / dpa

Dieser Deal war unausgesprochen die Voraussetzung für das Entgegenkommen des Ostblocks auf die neue Bundesregierung unter Kanzler Willy Brandt. Frank Bösch, der Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschungen in Potsdam, nennt das Röhrengeschäft einen „Katalysator für Brandts Ostpolitik“.

Die Sowjetunion hatte davon nur Vorteile: Sie bekam erstens die Infrastruktur, um das in Sibirien wertlose Erdgas zu Geld zu machen, konnte zweitens mit billiger Energie die Bundesrepublik langfristig in eine zumindest teilweise Abhängigkeit lotsen und damit drittens die Beziehungen zwischen Bonn und Washington unter Druck setzen. Deutschland bekam dafür wenig zurück – eigentlich nur das „gute Gefühl“, die Blockkonfrontation reduziert zu haben. Und immerhin den Friedensnobelpreis für den Bundeskanzler.

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Doch Brandt vertrat weiter die Ansicht, „dass man Handel und Politik nicht ohne Not koppeln“ solle. Das war naiv, und bald kam die Quittung: Am 15. Oktober 1973, kurz nach der Wende im Jom-Kippur-Krieg, kürzte der Zusammenschluss der ölexportierenden arabischen Staaten die Liefermenge an Deutschland pauschal. Zwar nur um etwa fünf Prozent, was aber aufgrund projizierter Ängste zu einem Preisanstieg von bis zu 70 Prozent führte – der Ölpreisschock.

Auf der Sitzung am 14. Dezember 1973 in Kopenhagen: Bundeskanzler Willy Brandt (l, Deutschland) im Gespräch mit Staatspräsident Georges Pompidou (r, Frankreich). Dazwischen v.l.: Ministerpräsident Liam Cosgrave (Irland) und der britische Premierminister Edward Heath. Die im Zeichen der Ölkrise stehende EU-Gipfelkonferenz wurde am 15. Dezember 1973 mit einer gemeinsamen Erklärung über die "Europäische Identität", in der die Gemeinschaft erstmals die Grundprinzipien ihres außenpolitischen Verhaltens festlegt, beendet. [dpabilderarchiv]
Bundeskanzler Willy Brandt mit Frankreichs Staatspräsident Georges Pompidou auf dem Energiekrisen-Gipfel im Dezember 1973
Quelle: picture-alliance / dpa

Die eilig beschlossene Folge war das deutsche Energiesicherungsgesetz vom 9. November 1973, das unter anderem zu reinen Symbolhandlungen wie autofreien Sonntage führte. Wichtiger war die Diversifikation der Energielieferanten: Fortan wurden die Sowjetunion sowie europäische Partner wie Großbritannien und Norwegen als Öl- und Gasexporteure für die Bundesrepublik wichtiger. Schließlich wurde der Ausbau der Kernenergie als nicht fossilem Energieträger beschleunigt – der Versuch, sich aus der Abhängigkeit anderer Staaten zu befreien.

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