Beide Treffer lagen perfekt im Ziel – und führten zu einer Katastrophe. Denn die lasergelenkten Spezialbomben durchschlugen die meterdicke Stahlbetondecke des Bunkers im Westen Bagdads und detonierten im Inneren. Doch das Ziel, ein etwa 40 mal 40 Meter großer Bau mit großen Technikgauben auf dem Dach gut zehn Kilometer von der Bagdader Innenstadt entfernt, war an diesem 13. Februar 1991 gegen 4.30 Uhr voll mit Zivilisten: Frauen, Kindern und alten Männern.
Wahrscheinlich 408 von ihnen (nach anderen Angaben 200 bis 300) starben bei der Explosion von fast einer halben Tonne hochbrisantem Sprengstoff. Sie wurden zerfetzt von Splittern, erschlagen von Trümmern oder durch die enorme Schockwelle zerquetscht, die durch den Bunker raste und von seinen dicken Wände gewissermaßen „reflektiert“ wurde.
Ob sich tatsächlich zum Zeitpunkt des Einschlages bis zu 1000 Menschen in dem Schutzraum befanden, konnte nie bestätigt werden – angeblich war das Registrierbuch bei dem Angriff verbrannt. Sicher aber ist, dass es sich bei den bekannt gewordenen Toten um Zivilisten und nicht um Soldaten handelte. Das bestätigte der BBC-Reporter Jeremy Bowen, der wenige Stunden nach dem fatalen Treffer vor Ort war.
Knapp vier Wochen dauerte schon die Luftoffensive gegen den Irak, vor allem gegen militärische Einrichtungen. Mit gemessen an früheren Kriegen erstaunlicher Präzision hatten die USA und ihre Verbündeten seit dem 16. Januar 1991 hunderte Ziele in Bagdad zerstört. So sollte Iraks Diktator Saddam Hussein seine totale Unterlegenheit gezeigt werden – die Hoffnung war, auf einen Bodenkrieg zur Befreiung des besetzten Kuwait verzichten zu können, weil sich der Irak unter dme Druck der Luftangriffe zurückziehen würde.
Der offiziell „Öffentlicher Luftschutzraum Nr. 25“ genannte Bunker war mit präzisen Positionsangaben zwei Tage vor dem Angriff auf die Zielliste der US Air Force für die kommenden Nächte gesetzt worden. Als potenzielles Ziel galt er schon lange zuvor, denn Geheimdienstinformationen, unter anderem Interviews mit Ingenieuren, die an einem Umbau des Bunkers beteiligt gewesen waren, deuteten auf eine militärische Nutzung hin.
Am 10. Februar 1991 teilte der CIA-Analytiker Charles E. Allen dem für die Zielauswahl zuständigen US-Air-Force-Offizier John Warden mit, dass seiner Ansicht nach der Bunker tatsächlich als „alternative Kommandozentrale“ diene und damit ein legitimes militärisches Ziel sei; es gebe „keine Anzeichen dafür, dass der Bau als ziviler Luftschutzraum genutzt“ werde.
Also befahl General Buster Glosson, der Oberbefehlshaber der Luftoperationen gegen den Irak, den Amiriyah-Bunker auf die Zielliste zu setzen. Zu dieser Zeit galten knapp 100 der 594 bekannten irakischen Bunker als zerstört und weitere 242 als schwer beschädigt. Es hätte also noch reichlich andere Ziele gegeben.
Unmittelbar nach dem katastrophalen Angriff informierte das Regime von Saddam Hussein die internationalen Journalisten, die sich noch in Bagdad befanden, und brachte sie zum Ort des Geschehens. Eigentlich hatte die Führung des Irak genau das schon vier Wochen zuvor vorgehabt, doch die Luftangriffe der US Air Force ab dem frühen Morgen des 17. Januar 1991 waren ganz überwiegend derartig präzise, dass die zivilen Verluste gering geblieben waren. Das hatte sich nun auf einen Schlag geändert.
Vertreter des US-Militärs präsentierten wenige Stunden nach Bekanntwerden des Angriffs Indizien für die Annahme, dass es sich bei der zerstörten Einrichtung eben doch um einen Kommandobunker gehandelt habe. Der Bau sei Mitte der 1980er-Jahre tatsächlich als Zivilschutzanlage errichtet worden, später jedoch mit einer zusätzlichen Betondecke verstärkt und mit Schutzmaßnahmen gegen elektromagnetische Impulse – einem Effekt von Atombombenexplosionen in sehr großer Höhe, der elektronische Geräte zerstören kann – ausgestattet worden.
Doch der Sprecher von US-Präsident George H. W. Bush, Marlin Fitzwater, hatte schon als erste Reaktion auf die Berichte von Jeremy Bowen auf BBC und von Peter Arnett auf CNN gesagt: „Der Tod von Zivilisten im Krieg ist wirklich tragisch. Es macht uns alle traurig zu ahnen, dass unschuldige Menschen im Zuge eines militärischen Konflikts gestorben sein könnten.“ Fitzwater spekulierte, Saddams „Bereitschaft, das Leben von Zivilisten zu opfern, um seine Kriegsziele zu erreichen“, könnte ein Faktor gewesen sein.
Defensiver äußerte sich danach das Pentagon. „Es sieht so aus, als seien hier Zivilisten verletzt worden. Wir werden den Vorfall sehr genau untersuchen und feststellen, was wir in Zukunft anders machen können, um eine Wiederholung auszuschließen“, sagte Generalleutnant Thomas Kelly, der Operationschef des US-Generalstabs. Er räumte ein, keinen belastbaren Informationen für eine „doppelte“ Nutzung des Bunkers als Zivilschutzanlage und als Kommandozentrale zu besitzen.
Die Tragödie entfachte die öffentliche Debatte über die Kriegsführung neu. UN-Generalsekretär Javier Pérez de Cuéllar, der schon mehrfach das Ausmaß der von den Vereinten Nationen genehmigten US-Angriffe kritisiert hatte, äußerte sein „tiefes Bedauern“ über den Tod von Zivilisten in Bagdad. Aus Moskau kamen zeitgleich Signale, es gebe „Anlass zur Hoffnung“ auf eine Verhandlungslösung.
Fitzwater kommentierte, die US-Regierung begrüße die sowjetischen Bemühungen, Saddam vom Rückzug aus Kuwait zu bewegen. Eine schiere Zusage reiche jedoch nicht aus, um die Luftangriffe zu beenden: „Wir wollen einen massiven Rückzug sehen“, sagte der Sprecher des Weißen Hauses.
Ein Journalist fragte daraufhin, ob Saddam durch die Bombardierung des Bunkers einen PR-Sieg errungen habe? „Ich denke, jeder verliert, wenn Zivilisten sterben“, antwortete Fitzwater: „Es ist eine wirklich tragische Situation.“ Ein hochrangiger Regierungsmitarbeiter ließ sich mit der Feststellung zitieren: „In jedem Krieg gibt es zivile Tote. Leider ist dies einer dieser Vorfälle.“ Das war eine zweifellos zutreffende Feststellung, die allerdings den Opfern des Angriffs nichts mehr nutzte.
Nach dem Ende des Golfkriegs ließ das Regime von Saddam Hussein, das sich an der Macht behaupten konnte, aus dem Bunker ein Mahnmal machen. Auch ausländische Delegationen legten hier Kränze nieder, zum Beispiel aus dem Vatikan.
Jahre später reichten belgische Anwälte im Namen der Angehörigen von sieben bei dem Angriff getöteten Iraker eine Klage wegen Kriegsverbrechen unter anderen gegen den ehemaligen US-Präsidenten George H. W. Bush ein. Ein 1993 erlassenes belgisches Gesetz ermöglichte es jedermann, ausländische Staats- und Regierungschefs wegen Völkermords und Kriegsverbrechen in Belgien vor Gericht zu bringen. Doch weil diese Regelung weder praktikabel noch vereinbar mit dem Völkerrecht war, hob das Parlament in Brüssel sie im August 2003 faktisch wieder auf.
Sie finden „Weltgeschichte“ auch auf Facebook. Wir freuen uns über einen Like.