Ohne Superlativ ging es nicht: „Die deutsche Republik ist fortan die demokratischste Demokratie der Welt“, rief Reichsinnenminister Eduard David am 31. Juli 1919 euphorisch in die Reihen der Nationalversammlung. Daraufhin schallen „Bravo!“-Rufe durch das Weimarer Nationaltheater.
Zuvor hatten 262 Abgeordnete von SPD, DDP und Zentrum für die Annahme des Kompromissentwurfs votiert, nur 75 Mitglieder der nationalen und linksradikalen Opposition dagegen. Allerdings hatte sich jedes vierte Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion verweigert und war der Abstimmung ferngeblieben.
Seit fünf Monaten war im Plenum und vor allem im Verfassungsausschuss der Nationalversammlung über das kommende Grundgesetz der deutschen Republik beraten und gestritten worden. Konfliktthemen gab es einige.
Der Jurist Hugo Preuß hatte sich in seinem ursprünglichen Verfassungsentwurf ganz auf die künftige Struktur und damit Regierbarkeit Deutschlands konzentriert. Der gerade einmal 68 Paragrafen kurze und knackig-klare Vorschlag enthielt deshalb nichts über die Grundrechte der Bürger, was der neue Reichspräsident Friedrich Ebert ausdrücklich kritisierte.
Daraufhin schlug ein Mitarbeiter der Reichskanzlei vor, diese Garantien aus der „48er-Verfassung abzuschreiben, soweit sie heute noch passen“. Tatsächlich lehnten sich die zunächst elf, dann zwölf Artikel über die Grundrechte teilweise wörtlich an die nie in Kraft getretene Verfassung der Revolution 1848/49 an.
Doch im Mittelpunkt standen sie nicht – der Abschnitt mit den Grundrechten wanderte im Verlauf der Verfassungsberatungen von der zweiten Stelle in der Gesamtverfassung nach der Struktur des Reiches an die achte Position, selbst hinter die Regelungen der Reichsverwaltung. Um das auszugleichen, einigte man sich, die Grundrechte an die Spitze eines „zweiten Hauptabschnitts“ zu stellen, in dem „Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen“ geregelt werden.
Die Verhandlungen waren geprägt von drei widerstreitenden Interessen: Hugo Preuß versuchte weiter, die Bedeutung der Länder zurückzudrängen und ihren Einfluss zu begrenzen. Der mit Abstand größte Einzelstaat Preußen, der an Fläche wie an Bevölkerung jeweils drei Fünftel des gesamten Deutschen Reiches umfasste, musste sich gleichzeitig mit separatistischen Tendenzen vor allem der Rheinprovinz herumschlagen, seines westlichsten Teils.
Die süddeutschen Freistaaten und hier vor allem Bayern wiederum wollten die Zentralgewalt des Reiches so schwach wie möglich halten, um sich selbst maximale Gestaltungsspielräume zu sichern. So gab es erheblichen Beratungsbedarf.
Die konservative Opposition stellt sich, wenig überraschend, gegen den republikanisch-demokratischen Verfassungsentwurf. Der deutschnationale Abgeordnete Clemens von Delbrück erklärte, dass die Reformen des Oktober 1918 „völlig ausreichend gewesen“ wären, Deutschland also eine demokratische Monarchie hätte werden sollen. Außerdem kritisierte er die schwache Position des künftigen Reichskanzlers zwischen Reichspräsident und Reichstag; er verlangte, eine Richtlinienkompetenz des Regierungschefs in der Verfassung zu verankern
Das blieben nicht die einzigen Streitpunkte. 28 Abgeordnete der Nationalversammlung gingen seit dem Frühjahr den in erster Lesung schon verabschiedeten Entwurf der Verfassung immer wieder durch. Sie berieten gründlich, überarbeiten und formulierten teilweise neu.
Der Liberale Conrad Haußmann, der den Verfassungsausschuss leitete, schrieb seiner Frau ganz unbescheiden: „Gott sei gedankt. Es war das schärfste Rennen in der parlamentarischen Geschichte Deutschlands, und der Ausschuss, den ich meinen nennen darf, schlug den Rekord.“
So blieben bis Ende Juli 1919 nur einige wenige Streitfragen offen, die das Plenum entscheiden musste. Vor allem ging es dabei um das Verhältnis von Staat und katholischer Kirche sowie die Schulpolitik, speziell um die beiden Konzepte konfessionell gemischter oder Bekenntnisschulen.
Es wurde engagiert gestritten, mitunter so hart, dass es zeitweise schien, als könnten sich die SPD-Abgeordneten dem Entwurf doch noch mehrheitlich verweigern. Doch schließlich fanden am 31. Juli in einer zwölf Stunden langen Sitzung die dritte Lesung und schließend die Schlussabstimmung statt. Die eine solide Mehrheit für die neue Verfassung erbrachte – eben 262 Ja- gegen 75-Nein-Stimmen.
Damit hatte Deutschland zum ersten Mal in seiner Geschichte eine voll gültige Verfassung, die auf dem Prinzip der Volkssouveränität beruhte. Der „Verfassungsvater“ Hugo Preuß bedauerte allerdings zu Recht, dass die Debatte um den Friedensvertrag die Verfassungsgebung überschattet hatte: „Die Verfassung von Weimar ist nicht im Sonnenglanz des Glücks geboren.“
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