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  3. Werner Bork: Mit dieser Entführung scheiterte die Stasi

Geschichte Entführungen der Stasi

„Wenn ich dich erwische, bringe ich dich um!“

Am 4. Mai 1953 brachen zwei Stasi-Agenten in die Wohnung von Werner Bork in West-Berlin ein, um ihn in die DDR zu verschleppen. In Moskau drohte ihm die Hinrichtung. Aber Bork wehrte sich.
Leitender Redakteur Geschichte
Chronik der DDR

Das Land, das ohne demokratische Legitimation gegründet wurde, der zweite deutsche Staat. Sehen Sie hier die Schlaglichter der DDR-Geschichte - bis zu ihrem Ende; der Wiedervereinigung mit der Bundesrepublik Deutschland.

Quelle: WELT

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Zigaretten. Ausgerechnet Zigaretten retteten Werner Bork das Leben. Dabei war er sogar Nichtraucher. Doch seine Freunde nicht – zum Glück. Am Abend des 4. Mai 1953 war der gerade 21-Jährige mit einigen Bekannten in die Kneipe „Waldhaus“ in der Onkel-Tom-Straße im Südwesten Berlins gegangen. Dort spielte eine deutsche Jazzband, die Spree City Stompers.

Normalerweise wurde so ein Abend lang, dauerte bis mindestens Mitternacht, manchmal auch länger. Doch an diesem Abend gingen Borks Freunden die Zigaretten aus – und sie wussten, dass er immer ein paar Päckchen daheim hatte, die er nicht brauchte, noch dazu amerikanische Marken. Also ließ sich Bork überreden, schnell aus seinem Mansardenzimmer in der benachbarten Straße Am Fischtal 90, Chesterfields oder Lucky Strikes zu holen. Ein Weg von nur 150 Metern, einmal um die Ecke.

Zeitungsartikel zur misslungenen Entführung
West-Berliner Zeitungsartikel zur misslungenen Entführung
Quelle: BStU

Doch als er die Tür zu seinem Zimmer aufschloss und den Lichtschalter drückte, passierte – nichts. „Ich stand einen Moment still und horchte. Kein Geräusch.“ Dann tastete er sich zum Schreibtisch und schaltete die Lampe dort ein. Sie funktionierte. Also kein Stromausfall.

Bork sah nun, dass die Glühbirne in der Deckenlampe herausgeschraubt war und die Schreibtischschublade halb offen stand, in der seine Pistole lag. Nur ein Brieföffner war noch da. Damit bewaffnet, rannte Bork die Treppe herunter und sprintete hinüber ins Waldhaus. Zusammen mit zwei Freunden und einer Freundin kam er zurück und begann, das Dachgeschoss des Hauses zu durchsuchen. In der Toilette stießen sie auf einen 23-jährigen Studenten namens Heinz Ebel, den Bork ohnehin im Verdacht hatte, ein Stasi-Spitzel zu sein.

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Einer seiner Freunde überwältigte den jungen Mann, in dessen Taschen eine Flasche Schlafmittel, zwei Flaschen Äther und ein Wattebausch gefunden wurden – nicht gerade übliche Accessoires, die man bei sich trug. Außerdem die verschwundene Pistole.

Studentenausweis Werner Bork 1949
Der Studentenausweis von Werner Bork 1949
Quelle: Privat

Borks Bekannte rief die Polizei, die Anfang der 50er-Jahre bei Verdacht auf versuchte Entführungen immer sehr schnell reagierte und binnen weniger Minuten vor der Haustür stand. Zusammen durchsuchten die Beamten und Borks Freunde das ganze Haus und stießen im Dachboden auf den 20-jährigen Egon Neumann.

Gemeinsam fuhren sie alle zum nächsten Polizeirevier. Im Wagen, so erinnerte sich Bork, zischte ihm Heinz Ebel noch zu: „Wenn ich dich das nächste Mal erwische, Werner, bringe ich dich um!“

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17. Juni 1953 in Ostberlin / Foto - -
17. Juni ‘53–Minutenprotokoll

Doch die weiteren Folgen überraschten Werner Bork. Zwar wurden die beiden verhinderten Entführer vernommen und angeklagt, allerdings vier Monate später freigesprochen. Eine Entführungsabsicht sei ihnen nicht zweifelsfrei nachzuweisen.

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Erst nach dem Ende der DDR änderte sich das: In den Akten der Stasi-Bezirksverwaltung Potsdam fand sich ein Bericht vom 6. Mai 1953, in dem ein Oberstleutnant Wagner festhielt, dass zunächst für die Nacht des 25. April 1953 die „Herausholung des Hauptagenten Bork“ geplant war.

Stasi-Bericht zur Entführung von Werner Bork 1953
Dieser Stasi-Bericht dokumentiert die geplante Entführung von Werner Bork
Quelle: BStU
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Die Aktion wurde dann auf den Abend des 26. April 1953 verschoben, an dem sich direkt hinter der Grenze in Klein-Glienicke nahe der Glienicker Brücke ein 17-köpfiger Unterstützungstrupp der Potsdamer Stasi bereithielt, um das Entführungsopfer zu übernehmen. Doch niemand kam, auch nicht in den drei folgenden Nächten.

Zwar erschien am 29. April 1953 gegen 2:30 Uhr morgens ein VW am vereinbarten Treffpunkt und blendete in der vereinbarten Weise auf. Doch dann kamen nicht die Entführer und ihr Opfer, sondern nur der IM „Lange“ alias Heinz Ebel.

„Er wurde durch den Bretterzaum geschleust, und in der kurzen Unterhaltung teilte er mit, dass die Aktion nicht klappt, da Bork an dem Abend nicht zum Trinken zu bewegen war“, hielt der Stasi-Oberstleutnant Wagner fest. Also wurden die Nächte vom 4. auf den 5. Mai und vom 5. auf den 6. Mai 1953 als nächste Gelegenheiten festgelegt.

Flugblatt von Werner Bork und seinen Freunden
Ein Flugblatt von Werner Bork und seinen Freunden, erhalten in Stasi-Akten
Quelle: BStU

Ebel zeigte sich überrascht vom Aufgebot der Potsdamer Stasi. „Na, ich glaube, Bork ist dieses große Aufgebot gar nicht wert, schade um das Geld“, sagte er laut Stasi-Bericht.

Warum aber trieb die Potsdamer MfS-Abteilung dennoch diesen Aufwand? Werner Bork, geboren 1932, stammte aus Werder und war 1949 illegal nach West-Berlin umgezogen, nachdem ihm die Zulassung zum Abitur verweigert worden war.

Als politischer Flüchtling anerkannt, setzte er von hier aus Aufklärungsaktionen gegen das SED-Regime fort: Er verteilte Flugblätter, die er teilweise selbst hergestellt, teilweise von der antikommunistischen Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit bekommen hatte.

Manchmal schoss er auch „Flugblattraketen“. Damit konnte man über eine Entfernung von ein paar Hundert Metern antikommunistische Botschaften etwa über einem Sperrgebiet der Sowjetischen Militäradministration verteilen.

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Quelle: WELT/Stefan Wittmann

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Als aktiver Antikommunist fiel Bork westlichen Geheimdiensten auf, sowohl den Amerikanern als auch einer Berliner Filiale der Organisation Gehlen. Seit Frühjahr 1951 arbeitete er für sie, bekam dafür auch die Pakete mit US-Verpflegung, in denen immer Zigaretten waren. Im Wesentlichen handelte es sich um die Feststellung militärischer Informationen aus Brandenburg.

Doch das hatte nach der Entführung ein schnelles Ende. Denn plötzlich musste sich Bork wegen unerlaubten Waffenbesitzes vor einem US-Militärgericht in West-Berlin verantworten. Dort gab er wahrheitsgemäß an, die Pistole von seinem Kontaktmann, einem Major Forbes beim Military Intelligence Detachment (MID), bekommen zu haben. Doch der Richter erwiderte, einen Major Forbes gäbe es nicht und ein Einheit namens MID genauso wenig. Bork erhielt eine Haftstrafe von sechs Monaten auf Bewährung.

Damit beendete er seine Spionagetätigkeit. Widerstand gegen das SED-Regime leistete er aber von West-Berlin aus noch immer – bis zum Volksaufstand am 17. Juni 1953. Die massive Reaktion der Sowjets zeigte ihm, dass seine Arbeit des Kampfes gegen den Kommunismus erfolglos bleiben würde. Bork verließ West-Berlin und lebte bis 1956 in Italien, Paris und Großbritannien.

Und was wäre geschehen, wenn seine Entführung geklappt hätte? Mit ziemlicher Sicherheit wäre Bork nach Moskau gebracht und dort erschossen worden. Mehr als 1000 DDR-Bürger oder entführte West-Berliner starben 1950 bis 1953 auf diese Weise. Zum Beispiel am 15. Dezember 1953 der aus West-Berliner entführte Walter Linse, ein wichtiger Organisator des Widerstandes gegen das SED-Regime.

Auch sieben Freunde von Werner Bork aus Werder wurden in Moskau erschossen, fünf im April und August 1952, zwei im April 1954. Da Werner Bork beim MfS als „Hauptagent“ galt, spricht alles dafür, dass ihm ein ähnliches Schicksal gedroht hätte. Der Versuch, für seine Bekannten am Abend des 4. Mai 1953 Zigaretten zu holen, rettete also dem Nichtraucher wohl das Leben.

Iris Bork-Goldfield: „,Wir wollten was tun’. Widerstand von Jugendlichen in Werder an der Havel 1949–1953“ (Metropol-Verlag Berlin. 196 S., 19 Euro).

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Entführung von Werner Bork durch die Stasi
Werner Bork, fotografiert 2019
Quelle: sfk

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