WELTGo!
Ihr KI-Assistent für alle Fragen
Ihr KI-Assistent für alle Fragen und Lebenslagen
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Geschichte
  3. Das Geld der NSDAP: Wie die Großindustrie Hitler wirklich unterstützte

Geschichte Wer bezahlte die NSDAP?

Wie die Großindustrie Hitler wirklich unterstützte

Der Bundesverband der deutschen Industrie hat seine Vergangenheit erforschen lassen. Dabei ist manches Kritikwürdiges herausgekommen – aber gerade der häufigste Vorwurf erweist sich als unzutreffend.
Leitender Redakteur Geschichte

Zu den wohl einflussreichsten Kunstwerken des 20. Jahrhunderts zählt eine Fotomontage, die erstmals am 16. Oktober 1932 erschien. Der Berliner John Heartfield brachte darin für die kommunistische „Arbeiter-Illustrierte Zeitung“ den vermeintlichen „Sinn des Hitler-Grußes“ auf eine visuelle Formel: Hinter einem kleinen Adolf Hitler steht ein riesiger Anzugträger ohne Gesicht, der dem NSDAP-Chef Tausend-Mark-Scheine in die erhobene rechte Hand drückt. „Motto: Millionen stehen hinter mir“, schrieb Heartfield dazu.

Dieses Titelblatt prägte wohl mehr als alles andere die Vorstellung, die NSDAP sei ein politisches Instrument der Konzerne gewesen, speziell der Schwerindustrie. Auch fast 90 Jahre später hält sich in weiten Teilen der Öffentlichkeit diese Ansicht und trägt zur verbreiteten Wirtschaftsfeindlichkeit in der deutschen Gesellschaft bei.

Lesen Sie auch
Colour photograph of a Opel Blitz truck during the Second World War. Dated 1941 (Photo by: Universal History Archive/UIG via Getty Images) Getty ImagesGetty Images
General Motors im Dritten Reich

Sichtbar wird dieses Vorurteil auch in der ersten von Historikern erarbeiteten Geschichte des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und seiner Vorgängerinstitutionen, vor allem des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI), über die Zeit zwischen 1919 und 1990. Man darf skeptisch sein, ob die Argumente der mit 376 Seiten erstaunlich konzentrierten Studie der Experten Johannes Bähr und Christopher Kopper durchdringen werden.

Dabei widerlegt ihre Darstellung Heartfields Sichtweise überzeugend. So stellen sie zum Beispiel fest: „Hitler und die NSDAP wurden bis zum Ende der Weimarer Republik weder vom RDI noch von Krupp von Bohlen mit einer Spende bedacht.“ Gustav Krupp von Bohlen, seit Herbst 1931 RDI-Vorsitzender, unterstützte im Frühjahr 1932 zudem offen die Wiederwahl von Reichspräsident Paul von Hindenburg, gegen den Hitler antrat.

Als ein halbes Jahr später, im November 1932, eine Eingabe von 19 prominenten Unternehmern den wiedergewählten Hindenburg aufforderte, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen, fehlte die Unterschrift von Gustav Krupp von Bohlen. Zu eigen machte sich mit dem offen pronationalsozialistischen Fritz Thyssen nur ein Großindustrieller diesen Aufruf.

Lesen Sie auch

Ein weiteres Argument gegen die gängige Sicht, die deutschen Konzerne hätten die Hitler-Bewegung unterstützt, ist eine Korrespondenz zwischen dem RDI-Geschäftsführer Jacob Herle und Adrian von Renteln, einem Mitarbeiter der wirtschaftspolitischen Abteilung der NSDAP-Reichsleitung. Der Parteifunktionär hatte im Rahmen eines unverbindlichen Gedankenaustausches das „Wirtschaftspolitische Sofortprogramm der NSDAP“ geschickt. „Herle antwortete Renteln mit einer über 30-seitigen Ausarbeitung“, schreibt Johannes Bähr. „Es war ein in verbindlichem Ton gehaltener Verriss.“

Der RDI-Geschäftsführer hielt das Programm für geprägt vom Geist eines Staatskapitalismus, der die Wirtschaft behördlich reglementieren, falsch investieren und den Außenhandel strangulieren würde. Eine vollkommen zutreffende Analyse. In der Folge blieb der RDI auf Distanz zur NSDAP. Als Hitler erfuhr, dass der von Renteln verfasste Text bei der Wirtschaft auf Ablehnung stieß, ließ er das Sofortprogramm kassieren und den Autor versetzen. Allerdings wurde der Text während des Reichstagswahlkampfs im November 1932 weiterhin verteilt.

Noch am 28. Januar 1933 warnte der RDI-Vize Ludwig Kastl das Reichspräsidialamt ausdrücklich vor „fortgesetzten Beunruhigungen“ der Wirtschaft „durch politische Krisen“; die „Erholung der Wirtschaft hängt von nichts mehr ab als vom Vertrauen auf die politische Ruhe und Stabilität“. Deutlicher konnte man nicht von einer Regierungsbeteiligung der NSDAP warnen, ohne die Person Hitler zu erwähnen. In einem weiteren Brief vom selben Tag ergänzte Kastl, RDI-Chef Krupp von Bohlen sei der gleichen Meinung.

Dennoch ernannte Hindenburg am 30. Januar 1933 Hitler zum Reichskanzler. Krupp von Bohlen reagierte konsterniert; er schrieb privat an Kastl: „Es ist doch denkbar traurig, wie leichtfertig mit den Interessen eines großen Volkes gespielt wird.“

Anzeige

Niemand, auch der Reichspräsident nicht, hatte die ungeheure Dynamik vorausgesehen, mit der die Hitler-Bewegung nun nach der dominierenden Rolle in Staat und Gesellschaft griff. Während sich allgemein der Begriff „Machtergreifung“ eingebürgert hat, fand doch vielmehr am 30. Januar eine Machtübergabe und in den folgenden drei Monaten bis Anfang Mai eine Machteroberung statt.

Der konnte sich auch der RDI nicht entziehen – wie außer der katholischen Kirche kaum eine gesellschaftliche Institution. Schon am 20. Februar 1933 knickte der Verbandsvorsitzende ein und zeichnete eine riesige Wahlkampfspende für die NSDAP. Es war das erste Mal, dass Krupp-Geld in nennenswerter Höhe an die Hitler-Bewegung floss. Angeblich sagte Krupp von Bohlen zu seiner Tochter: „Wir müssen mitmachen, um zu retten, was zu retten ist.“ Die Folgen sind bekannt.

Adolf Hitler spricht am 23. März 1933 vor dem Reichstag zum Ermächtigungsgesetz
Adolf Hitler spricht am 23. März 1933 vor dem Reichstag zum Ermächtigungsgesetz
Quelle: picture alliance / dpa

Während ein neu gewählter Reichstag am 23. März 1933 das Ermächtigungsgesetz beschloss, so etwas wie das Grundgesetz des kommenden „Führerstaates“, attackierte bei einer Sitzung des RDI-Präsidiums der Hitler-Unterstützer Fritz Thyssen die Verbandsführung. Er forderte einen Umbau „entsprechend den geänderten politischen Verhältnissen“ und Konsequenzen bei den Neuwahlen zum Präsidium. Es ging also nicht nur um Krupp von Bohlen und Kastl, sondern um die zukünftigen Verbandsstrukturen insgesamt.

Eine gute Woche später saßen Krupp von Bohlen und Carl Friedrich von Siemens als Delegation des RDI bei Hitler in der Reichskanzlei, als NSDAP-Mitglieder die Geschäftsstelle des Verbandes aufsuchten. Der Wirtschaftsexperte der Hitler-Partei, Otto Wagener, verlangte ultimativ die Entlassung aller jüdischen Mitarbeiter und den Rücktritt Kastls. Seine Aufgabe sei es, so Wagener weiter, den RDI auf die Wirtschaftspolitik des Reichs auszurichten. Mit anderen Worten: den Verband gleichzuschalten.

Bei dieser Gelegenheit gab der RDI-Vorsitzende Krupp von Bohlen, wie Bähr und Kopper treffend schreiben, „ein klägliches Bild“ ab. Offenbar massiv eingeschüchtert, versuchte der Industrielle, obwohl einer der reichsten Männer Deutschlands und Europas, also an sich unabhängig wie nur wenige andere, gar nicht erst, sich hinter Kastl und die jüdischen Mitarbeiter zu stellen.

„Wer war Hitler“ - Einblicke in eine finstere Zeit

Unzählige Menschen haben sich mit dem Leben des Diktators auseinandergesetzt, sei es in Form von Büchern, Spielfilmen oder Dokumentationen. Doch in „Wer war Hitler“ wählt der Regisseur Hermann Pölking einen anderen Ansatz.

Quelle: Salzgeber & Company Medien

Im Gegenteil „bat“ er Hitler in einem unterwürfigen Schreiben vom 4. April 1933 um Auskunft, an wen er als RDI-Vorsitzender sich „in allen die Neuorganisation des Reichsverbandes der Deutschen Industrie berührenden Fragen als Ihren Beauftragten wenden könnte“. Es war die Kapitulation des Verbandsvorsitzenden.

Die allerdings nicht alle RDI-Präsidiumsmitglieder hinzunehmen bereit waren. Auf der außerordentlichen Sitzung des obersten Gremiums zwei Tage später nämlich musste Krupp von Bohlen für sein Verhalten scharfe Kritik einstecken. Viele Mitglieder waren anscheinend der Ansicht, der Vorsitzende habe sich von drittklassigen NSDAP-Funktionären vorführen lassen.

Anzeige

Außerdem beschwerten sie sich, mit dem Brief an Hitler habe der RDI-Chef im Alleingang die Richtungsentscheidung über die Zukunft des Verbandes an Hitler und seine Funktionäre übergeben. Sogar die Entlassung der jüdischen Mitarbeiter wurde moniert. Krupp von Bohlen drohte mit seinem Rücktritt, sollten die Kritiker bei ihrer Haltung bleiben. Das wirkte: Mit seiner Erpressung erzwang er umfassende Vollmachten, um den RDI im Sinne des neuen Reichskanzlers zu reorganisieren.

Die Erfindung des „Attentats“ auf Hitler

Ein Aktenfund des britischen Nationalarchivs enthüllt: Das Leben von Hitlers Leibarchitekt Albert Speer war 1946 eigentlich verwirkt. Durch eine Lüge blieb ihm der Tod am Strang jedoch erspart.

Quelle: WELT/ Kevin Knauer

Hat der RDI durch seine – wenn auch vergleichsweise späte – Unterstützung von Hitlers Machteroberung im Frühjahr 1933 Schuld auf sich geladen? Nat��rlich, wie fast die ganze deutsche Gesellschaft. Immerhin hatten Krupp von Bohlen, Kastl und Herle noch versucht, vor der NSDAP zu warnen. Doch als es hart auf hart ging, wichen sie der Gewalt.

Die Studie von Bähr und Kopper enthält nicht nur für 1932/33, sondern für die gesamte Zeit von 1919 bis 1990 bemerkenswert abgewogene, überzeugend dargelegte Bewertungen. Die beiden Historiker sparen dabei nicht mit Kritik an RDI- und BDI-Funktionären. Aber sie reihen sich eben auch nicht ein in den Chor der Wirtschaftsskeptiker. Leider ist eher nicht anzunehmen, dass ihre abgeklärte Darstellung die vorherrschenden Auffassungen über die angebliche Kooperation von Unternehmen und Hitler-Bewegung nennenswert beeinflussen wird. Dafür ist die agitatorische Qualität von Heartfields These zu stark.

Sie finden „Weltgeschichte“ auch auf Facebook. Wir freuen uns über ein Like.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema