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Geschichte „Concordski“

Die Tu-144 geriet zum Rohrkrepierer der UdSSR

Spionage hatte es den Sowjets ermöglicht, am letzten Tag des Jahres 1968 als erste Nation ein Überschall-Passagierflugzeug starten zu lassen. Doch der Deltaflügler erwies sich als pannenanfällig.
01.05.1971, Russland, ---: 5620153 01.05.1971 A Tupolev Tu-144 supersonic passenger plane designed by Andrei Tupolev's designer bureau (today's Tupolev company) in the 1960s. Yuriy Korolev Foto: Yuriy Korolev//dpa | 01.05.1971, Russland, ---: 5620153 01.05.1971 A Tupolev Tu-144 supersonic passenger plane designed by Andrei Tupolev's designer bureau (today's Tupolev company) in the 1960s. Yuriy Korolev Foto: Yuriy Korolev//dpa |
Eine Tupolew Tu-144 im Mai 1971
Quelle: picture alliance/dpa

Was fast gleich aussieht, kann, muss aber nicht zwangsläufig kopiert sein. Nur Flugzeug-Kenner vermögen auf den ersten Blick das britisch-französische Überschall-Passagierflugzeug Concorde zu unterscheiden von der Tupolew Tu-144, ihrem sowjetischen Pendent. Am 31. Dezember 1968 absolvierte der erste Prototyp der Maschine seinen Erstflug und schlug damit die westliche Entwicklung um gut zwei Monate.

War die Tu-144 eine Kopie der Concorde, womöglich sogar aufgrund gestohlener Pläne? Westliche Beobachter sahen es jedenfalls so und gaben dem sowjetischen Silvesterkracher umgehend den zynischen Spitznamen „Concordski“. Die Russen und besonders das Konstruktionsbüro von Alexei Tupolew bestritten das stets energisch; sie hätten ihr Überschall-Flugzeug eigenständig entwickelt.

A British Airways Concorde, Alpha Foxtrot, takes off from London's Heathrow airport on Tuesday, 17 July 2001. The supersonic passenger jet is undergoing its first test flight after an Air France Concorde crashed near Paris last year. The plane has been fitted with new engine liners and new tires which were thought to have contributed to the accident which claimed 113 lives. The Concorde is planned to fly along The Bristol Channel before turning towards Iceland before returning to RAF Brize Norton. dpa |
Eine Concorde der British Airways hebt am 17. Juli 2001 ab
Quelle: picture-alliance / dpa/dpaweb

Wer Fotos der beiden Maschinen nebeneinander sieht, vermag sich das kaum vorzustellen. Denn das Grundkonzept beider Jets war nahezu identisch: Beide waren lang gestreckte Deltaflügler, beide hatten für die Landung abklappbare Cockpits, beide verfügten über jeweils vier dicht aneinander und weit hinten eingebaute Strahltriebwerke. So viele Zufälle bei der Konstruktion voneinander unabhängiger hochkomplexer Technik kann es eigentlich nicht geben.

Nachweislich hat die UdSSR das britisch-französische Concorde-Projekt ausspioniert. Dafür gibt es eine Fülle von Beweisen. Ein Agent der DDR-Staatssicherheit wurde sogar zu zwölf Jahren Haft wegen Spionage verurteilt; er hatte fast fünf Jahre lang französische Ingenieure dafür bezahlt, dass sie ihm Informationen über das westliche Projekt lieferten. Wenig später, Anfang 1965, wies Frankreich den Leiter des Pariser Aeroflot-Büros aus, weil er versucht hatte, Informanten anzuwerben. 1966 wurden die beiden CSSR-Bürger Stephan K. und Jean S. festgenommen. Sie hatten sich als Priester verkleidet und wurden wegen Concorde-Spionage später zu acht und vier Jahren Haft verurteilt.

Das gigantische, sowjetische Überschallflugzeug Tupolew TU-144 wird auf der 29. Luftfahrt-Ausstellung am 27.5.1971 in Paris von Zuschauern bestaunt. |
Eine Tu-144 wird in Paris von Zuschauern bestaunt
Quelle: picture-alliance / dpa

Trotzdem gibt es grundsätzliche Unterschiede zwischen Tu-144 und Concorde. So ist die für jedes Fluggerät entscheidende Tragflächengeometrie bei der sowjetischen Maschine wesentlich einfacher. Die vier Triebwerke waren wesentlich dichter am Rumpf eingebaut. Und die ursprünglich eingebauten Turbinen folgten einem anderen Konstruktionsprinzip; erst das sechste Vorserienmodell bekam mehr als ein Jahr nach seinem Erstflug im Jahr 1976 Triebwerke, die jenen der Concorde technisch vergleichbar waren.

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War die Tu-144 nun eine Kopie oder nicht? Wahrscheinlich liegt die Wahrheit in der Mitte. Dass ein Deltaflügler der richtige Ansatz für ein Überschall-Flugzeug sein dürfte, war in den 1960er-Jahren kein Geheimnis: Die Jagdflugzeuge Convair F-102 und Mirage III waren ebenso Deltaflügler wie der britische Bomber Avro Vulcan.

Andererseits zeigt der Vergleich dieser Konzepte mit anderen Überschall-Maschinen wie dem US-Modell Convair B-58 oder den viel gebauten sowjetischen Jagdeinsitzern Suchoi Su-9 und MiG-21, dass die grundsätzliche Entscheidung für das Konzept dreieckiger Tragflächen zu sehr unterschiedlichen Umsetzungen führen konnte. So ähnelten die nie realisierten Konzeptstudien der US-Flugzeugbauer Boeing, Lockheed und North American für einen Überschall-Passagierjet der Concorde deutlich weniger als die Tu-144.

Das Archivbild vom 31.12.1968 zeigt das russische Überschallflugzeug Tu 144 vor dem Jungfernflug in der Nähe von Moskau. Die Sowjets waren mit der Tu 144 der britisch-französischen Concorde zuvorgekommen, die am 2. März 1969 zu ihrem Erstflug abhob. dpa (zu dpa-Feature: "Die sowjetische Tu 144 flog der Concorde vorraus - und stürzte ab" vom 28.12.1998) nur s/w |
Das Bild vom 31. Dezember 1968 zeigt die Tu 144 vor dem Jungfernflug
Quelle: picture-alliance / dpa

Als sehr wahrscheinlich darf daher gelten, dass die Tupolew ihrem Konzept nach eine Kopie der frühen Entwicklungsstufen der Concorde war. Jedoch war die sowjetische Luftfahrtindustrie wohl nicht in der Lage, die konstruktiven Herausforderungen zu meistern, die das britisch-französische Team bewältigte – sowohl was die hinreichend stabile Konstruktion der Tragflächen anging wie die Triebwerke.

Hier ergänzte Tupolew deshalb hinreichend erprobte, aber für ein so großes Flugzeug ungeeignete Hilfskonstruktionen aus anderen sowjetischen Entwürfen. Es ging ja vor allem darum, die Tu-144 vor der Concorde zum Fliegen zu bringen. Die langfristige Nutzung stand nicht im Vordergrund. Schon der zweite Prototyp, der erst zweieinhalb Jahre nach der ersten Maschine abhob, war deshalb ein weitgehend um-, manche Beobachter sagen auch: neu konstruiertes Flugzeug.

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Insgesamt wurden von der Tu-144 genau 16 Stück gebaut, also nur vier weniger als von der Concorde. Doch die britisch-französische Konstruktion flog bis zum katastrophalen Absturz am 25. Juli 2000 in Paris unfallfrei und beförderte insgesamt zwischen 1976 und 2003 auf rund 50.000 Flügen mehr als 2,5 Millionen Passagiere mit Überschallgeschwindigkeit.

©Andras Kisgergely/MAXPPP La mairie de Gonesse (Val-d'Oise) organise dimanche une cérémonie à l'occasion du dixième anniversaire du crash du supersonique d'Air France qui a fait 113 morts le 25 juillet 2000. ARCHIVES On Sunday, families of victims mark 10th anniversary of the crash of the Concorde supersonic jet. ARCHIVES ; Le 25/07/2000 - Les experts charges de l'enquete technique sur l'accident du Concorde survenu mardi à Gonesse (Val-d'Oise) ont declare que l'incendie survenu a l'arriere gauche de l'appareil durant le decollage provenait vraisemblablement d'une "fuite importante" de kerosene, non d'un moteur. |
Eines der ganz wenigen Fotos, die die brennende Concorde vor dem Absturz Ende Juli 2000 bei Paris zeigen
Quelle: picture alliance / MAXPPP

Die Tupolew dagegen war gerade einmal ein gutes halbes Jahr, von November 1977 bis Mai 1978, im Liniendienst. Insgesamt erreichten mit dem sowjetischen Jet nur 3284 Gäste das Tempo von Mach 2. Der Silvesterkracher von 1968 endete als Rohrkrepierer.

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Dieser Überschallflieger soll die Concorde übertrumpfen

Unter dem Namen „X-Plane“ testen die USA eine neue Flugzeugtechnologie. Die Nasa und Lockheed hatten sich bereits 2016 für das Projekt verbündet. Jetzt erfolgt der nächste Schritt mit dem konkreten Bau des Experimentalflugzeugs.

Quelle: WELT/Louisa Lagé

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