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Geschichte Deutschland als Nuklearmacht?

Schon Adenauer wollte Atomwaffen für die Bundeswehr

„Soll die Bundeswehr mit Atomwaffen ausgerüstet werden?“, wurde der Kanzler Adenauer 1957 gefragt. Die Deutschen reagierten mit Entsetzen. Deutschlands Verpflichtung, keine Atomwaffen herzustellen, legte sein Kabinett eigenwillig aus.
Leitender Redakteur Geschichte
Taktische Atomwaffen gab es 1957 genau zwanzig Stück, nämlich vom amerikanischen Typ W-9 für die 28-Zentimeter-Haubitze Taktische Atomwaffen gab es 1957 genau zwanzig Stück, nämlich vom amerikanischen Typ W-9 für die 28-Zentimeter-Haubitze
Der einzige vollständige Test einer Atomgranate: 1953 schoss ein Geschütz vom Typ M-65 (vorne) eine Kernwaffe W-9 ab
Quelle: Public Domain

Die Frage war dem Bundeskanzler offensichtlich willkommen: „Soll Ihrer Meinung nach die Bundeswehr mit atomaren Waffen ausgestattet werden?“, fragte bei einer offiziellen Pressekonferenz in Bonn am 5. April 1957 ein Journalist. Konrad Adenauer antwortete: „Unterscheiden Sie doch die taktischen und die großen atomaren Waffen. Die taktischen Waffen sind nichts weiter als die Weiterentwicklung der Artillerie. Natürlich können wir darauf nicht verzichten.“

Die deutsche Öffentlichkeit, zumindest große Teile davon, reagierten mit purem Entsetzen. Hatte der Regierungschef der noch nicht einmal acht Jahre alten Bundesrepublik tatsächlich die Ausstattung der erst im Aufbau befindlichen und heftig umstrittenen Bundeswehr mit Massenvernichtungswaffen im Sinne?

Umgehend formierte sich Widerstand: 18 deutsche Atomforscher und Kernphysiker, darunter die Nobelpreisträger Max von Laue, Otto Hahn, Werner Heisenberg und Max Born, sandten ein Protesttelegramm ans Kanzleramt. Sie würden jede Mitarbeit an einem deutschen Atomwaffenprogramm verweigern.

Das war unfreiwillig komisch. Denn mindestens sechs der Unterzeichner, vor allem Werner Heisenberg und Carl-Friedrich von Weizsäcker, hatten ein gutes Dutzend Jahre zuvor freiwillig und mit vollem Engagement im „Uranverein“ mitgearbeitet, dem Atomprojekt des deutschen Heereswaffenamtes im Zweiten Weltkrieg. Was sie für Hitler insgeheim zu tun bereit gewesen waren, verweigerten sie also nun öffentlichkeitswirksam gegenüber der demokratischen Bundesregierung.

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Kein Wunder, dass Adenauer diesen Protest wenig ernst nahm. Erst im Rückblick ist aus der einigermaßen peinlichen Erklärung der „Göttinger 18“ vermeintlich ein Dokument bürgerschaftlicher Verantwortung von Wissenschaftlern geworden.

Adenauer: “Deutschland kann nicht Atomprotektorat bleiben“

Wie aber war es überhaupt zu der Äußerung des Kanzlers in der Pressekonferenz gekommen? Intern hatte die Bundesregierung wohl zum ersten Mal am 19. September 1956 über das Thema nukleare Bewaffnung der gerade erst aufgestellten Bundeswehr beraten. Adenauer sagte dabei laut Protokoll: „Deutschland kann nicht Atomprotektorat bleiben.“ Gute zwei Wochen später kündigte er an, er wolle „über Euratom auf schnellstem Wege die Möglichkeit erhalten, selbst nukleare Waffen herzustellen“.

Das war arg voreilig, denn zu dieser Zeit gab es im Westen nur zwei Atommächte, die USA und Großbritannien, das allerdings lediglich eine einzige Atombombe gezündet hatte. Und Atomgranaten gab es 1957 genau 79 Stück, nämlich vom amerikanischen Typ W-9 für die 28-Zentimeter-Haubitze. Ein weiteres Exemplar war am 25. Mai 1953 auf dem US-Atomtestgelände in Nevada probehalber zur Explosion gebracht worden.

Die USA hatten bis dahin mit keinem Wort angedeutet, dass sie bereit seien oder sich wünschten, ihre atomare Abschreckungskapazität mit anderen Staaten zu teilen. Die einzige Ausnahme war Großbritannien, das im Zuge der „special relationship“ bevorzugt behandelt wurde.

Adenauer traute der Nato nicht

Adenauer vertraute dem globalen Versprechen der Nato im Allgemeinen und der USA im Besonderen nicht, ihren Atomschirm auch über der Bundesrepublik aufzuspannen. Würde die Regierung in Washington tatsächlich im Falle eines sowjetischen Angriffs auf Westdeutschland atomar reagieren – angesichts der Gefahr, dass daraufhin die UdSSR mit ihren primitiven, aber wirksamen Interkontinentalraketen über den Pol hinweg amerikanische Städte angreifen könnte?

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Als die britische Regierung im Frühjahr 1957 ihren Verteidigungshaushalt stark kürzte und wenig später die erste eigene Wasserstoffbombe testweise zündete, wuchsen Adenauers Bedenken noch: Den beiden westlichen Atommächten könnte es genügen, durch effiziente Abschreckung selbst vor sowjetischen Angriffen sicher zu sein. Würden sie sich noch um das Schicksal des übrigen Europas bis zur Elbe kümmern?

Gegenüber US-Außenminister John Foster Dulles sprach Adenauer seine Bedenken offen an. Doch solche Bekenntnisse genügten ihm nicht, er wurde tätig. John J. McCloy, dem einzigen US-Politiker dem er wirklich vertraute, sagte er am 19. November 1957 nebenbei zum Thema Atombewaffnung: „Frankreich, Italien und Deutschland wollen positive Schritte unternehmen und nicht einfach alles von den Vereinigten Staaten erwarten.“

Tatsächlich hatte der Kanzler schon im Februar 1957, fast zwei Monate vor seiner Antwort in der Pressekonferenz, mit dem damaligen französischen Ministerpräsidenten Guy Mollet über sein Misstrauen gegenüber Großbritannien und den USA gesprochen. Der Sozialist, der sich sehr gut mit dem Rheinländer Adenauer verstand, hatte ihm geantwortet: „Dann müssen wir eben auch in fünf Jahren nukleare Waffen haben.“

Deutschlands Verpflichtung, keine Atomwaffen herzustellen

Allerdings standen dem gleich mehrere Probleme entgegen. Ohne Zweifel verfügten zwar westdeutsche Wissenschaftler über die Qualifikation, eigene Atomwaffen zu konstruieren; auch gab es kerntechnische Anlagen, die für die Herstellung des notwendigen spaltbaren Materials ausgebaut werden konnten.

Doch hatte sich die Bundesrepublik 1954 völkerrechtlich verbindlich verpflichtet, keine Atomwaffen herzustellen. Franz Josef Strauß, Adenauers junger und dynamischer Verteidigungsminister, hatte jedoch eine Idee: Das hieße ja nur, dass die Waffen nicht in Deutschland zusammengebaut werden dürften. Entwicklungsarbeit hingegen könne geleistet werden, ebenso die Herstellung hochangereichten Urans oder Plutoniums. Eine wahrhaft eigenwillige Auslegung.

Im Dezember 1957 verlangte die deutsche Delegation den Aufzeichnungen von Adenauers Vertrautem Herbert Blankenhorn zufolge, bei allen Fragen der nuklearen Bewaffnung müsse „der Grundsatz der gleichen Verteidigungsmöglichkeiten für alle gesichert werden“. Das war, mit den Worten des Historikers Henning Köhler, Autor der wohl besten Adenauer-Biografie, eine „klare Stellungnahme gegen die amerikanische Vorstellung eines Zweiklassen-Bündnisses“.

Ende März 1958 debattierte der Bundestag vier Tage lang über die Atombewaffnungspläne der Regierung. Adenauer stellte es so dar, als würde die Nato Druck ausüben, damit die Bundesrepublik einer atomaren Bewaffnung zustimme. Strauß versicherte, es gehe nicht um deutsche Kernwaffen, sondern „um der Nato unterstellte Einheiten aller europäischen Bundesgenossen“. Abermals eine eigenwillige Darstellung der Realität.

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Helmut Schmidt, der junge Verteidigungsexperte der SPD, hielt dagegen: „Wenn Sie von Einheiten der Nato reden, dann meinen Sie Atombomben für die Bundeswehr.“ Offensichtlich war der Hamburger Abgeordnete aus Nato-Kreisen gut informiert worden. Es gehe Adenauer und Strauß um „militärische Macht, nichts als die Macht und die Macht um ihrer selbst willen“.

Dass Schmidt selbst daran glaubte, sei eher unwahrscheinlich, urteilt Köhler. Aber der wehrpolitische Fachmann wusste, wie er die CDU/CSU quälen konnte, und tat das mit „arroganter Ruhe und geschliffener Polemik“ – jenen Eigenschaften, die ihm den Spitznamen „Schmidt-Schnauze“ einbrachten.

Die Bundesregierung konnte schließlich, dank der absoluten Mehrheit der CDU/CSU und mit Unterstützung weiterer Abgeordneter aus dem bürgerlichen Lager, ihren Antrag durchbringen. Danach war es der Bundeswehr künftig erlaubt, Vorbereitungen für die Atombewaffnung zu treffen.

Allerdings blieb es dabei, dass mit deutschem Steuergeld amerikanische Kurzstreckenraketen angeschafft sowie Düsenjets der Bundeswehr und Haubitzen mit der Technik für den Einsatz von Kernwaffen nachgerüstet wurden. Die Verfügung über Atomwaffen behielten sich die USA vor. So ist es bis heute.

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Dieser Artikel wurde erstmals 2018 veröffentlicht.

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