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Geschichte Dietrich Eckert

Wer noch immer das Grab des Hitler-Erfinders pflegt

In Berchtesgaden wird seit 93 Jahren die letzte Ruhestätte des Schriftstellers Dietrich Eckart betreut. Er war Förderer Hitlers und Wegbereiter des Nationalsozialismus. Unbekannte tragen die Kosten.
Leitender Redakteur Geschichte
Der Mann, der Hitlers Mentor war

Der Antisemit Dietrich Eckart war der ideologische Erfinder von Adolf Hitler. Nach seinem überraschenden Tod wurde er in Berchtesgaden beigesetzt. Bis heute wird das Grab bezahlt - von Unbekannten.

Quelle: Die Welt

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Nichts weniger als den „Retter Deutschlands“ suchte Dietrich Eckart. Der Schriftsteller und bekennende Antisemit wollte nach dem Ersten Weltkrieg in München den Mann finden, der die Schmach der Niederlage revidieren könnte. Er selbst, das wusste der 1868 geborene Erbe und Privatier, vermochte diese Rolle angesichts seiner schwachen Konsitution und seiner vielen Krankheiten nicht auszufüllen.

Also besuchte Eckart Veranstaltungen von vielerlei rechten und völkischen Gruppierungen in München und Oberbayern, wurde hier Mitglied, gründete dort eine eigene Gruppe und sprach andernorts. Schon Mitte August 1919 trat er der Deutschen Arbeiterpartei bei – einen ganzen Monat, bevor der Gefreite Adolf Hitler zum ersten Mal an einer Veranstaltung der DAP teilnahm.

Wann genau Eckart das demagogische Talent des 30-jährigen Ex-Soldaten erkannte, ist unbekannt. Im März 1920 nahm er ihn mit auf eine eilends angesetzte Reise nach Berlin, mit dem damals ausgesprochen exklusiven Verkehrsmittel Flugzeug. Doch sie kamen zu spät, um noch in den bereits gescheiterten Putschversuch rechter Truppen unter Wolfgang Kapp gegen die demokratische Regierung verwickelt zu werden.

Für Hitler war das ein Glück: Angeleitet und regelmäßig unterstützt von Eckart, entwickelte er sich zum unumstrittenen Anführer der in Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei umbenannten DAP. Der wohlhabende Schriftsteller wurde der erste wichtige Financier, initiierte den Kauf einer eigenen Parteizeitung, des eigentlich insolventen „Völkischen Beobachters“, und machte Hitler mit den Vorzügen Berchtesgadens bekannt.

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Hier starb Eckart auch, zu Weihnachten 1923, an einer weiteren seiner vielen Herzattacken. Und hier wurde er bestattet, an prominenter Stelle auf dem Dorffriedhof mitten in der oberbayerischen Kleinstadt. Ein großer Stein mit seinem Namenszug in Fraktur markierte sein Grab, zwei Tannen wuchsen links und rechts davon, für die braune Bewegung wurde es eine Wallfahrtsstätte. Hitler setzte seinem Gönner ein weiteres, gigantisches Denkmal. Die Freilichtbühne des Berliner Olympiageländes erhielt Eckarts Namen. Heute heißt sie schlicht Waldbühne.

Berlin Charlottenburg, Die Dietrich Eckart Bühne | Verwendung weltweit
Die Berliner Waldbühne hieß 1936 Dietrich Eckart Bühne
Quelle: picture alliance / arkivi

Genau so wie damals sieht das Grab auch heute noch aus, fast 93 Jahre später. Der Grabstein ist irgendwann einmal ersetzt worden, die Tannen wahrscheinlich auch – sie sind heute deutlich übermannshoch.

Das bedeutet: Es muss jemanden geben, der aus privaten Mitteln die Pacht für das Grab bezahlt und die regelmäßige Pflege. Erst in diesem Jahr wurde der Namenszug neu vergoldet, allerdings offenkundig nicht fachgerecht – jedenfalls verlief die Farbe zum größten Teil. Immer noch stehen regelmäßig frische Blumen vor dem Grab.

Die Friedhofsverwaltung und die Stadt Berchtesgaden weigern sich auf Nachfrage mitzuteilen, wer für Eckarts Grab mehrere hundert Euro im Jahr bezahlt, und das seit Jahrzehnten. Datenschutz, heißt es. Auch die Historiker des Instituts für Zeitgeschichte in München, die auf dem Obersalzberg hoch über der Kleinstadt eine überaus sehenswerte Dokumentation mit 170.000 Besuchern im Jahr betreiben, erfahren nichts.

Es ist an sich schon seltsam, dass so lange nach Ablauf der vorgeschriebenen Liegezeit von zwölf Jahren – wegen der Bodenbeschaffenheit ist die in Bayern übliche Liegezeit von 25 Jahren in Berchtesgaden deutlich reduziert – das Grab des wichtigsten Mentors von Adolf Hitler immer noch an prominenter Stelle existiert. Die letzte Ruhestätte des einstigen „Stellvertreters des Führers“ Rudolf Hess wurde 2011 beseitigt – die Pacht der Familiengruft war ausgelaufen und die Kirche im fränkischen Wunsiedel weigerte sich, sie zu verlängern.

Kombo Hitler Eckart
Der "Führer" und sein Vordenker: Hitler und Dietrich Eckert
Quelle: picture-alliance/ akg-images, IMAGNO
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Allerdings war Eckart nicht nur der Mentor Hitlers. Er war zugleich einer der übelsten völkischen Ideologen und antisemitischen Hetzer, die es in Deutschland je gegeben hat. Er brachte 1918 bis 1920 eine eigene Zeitschrift unter dem Titel „Auf gut deutsch“ heraus, die von Hasstiraden nur so triefte. Man kann es etwa in der Staatsbibliothek München oder der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig nachlesen.

Noch übler ist ein Pamphlet, das erst nach Eckarts Tod unvollendet erschien. Die Broschüre „Bolschewismus von Moses bis Lenin“ enthielt angeblich ein „Zwiegespräch zwischen Adolf Hitler und mir“. In Wirklichkeit handelte es sich um eine wilde antisemitische Tour d’horizon.

In den ausdrücklich dem NSDAP-Chef zugeschriebenen Passagen erschien Hitler als äußerst bildungsbeflissen, denn er warf mit Klassikernamen und Zitaten geradezu um sich. Angeblich konnte er ganze Kapitel aus dem Alten Testament detailliert zusammenfassen, führte reihenweise Verweise etwa auf Thomas von Aquin Giordano Bruno und Ulrich von Hutten auf, zitierte Goethe und Arthur Schopenhauer, auch Wilhelm Busch.

Da Hitler aber weder vor seiner Haft in Landsberg 1923/24 noch danach jemals schriftlich oder in einer seiner zahlreichen Reden ähnlich argumentierte, handelte es sich mit Sicherheit um ein rein fiktives Gespräch, das allein Dietrich Eckart verfasst hatte.

Berliner, die einen KdF-Urlaub in Berchtesgaden verbringen, am Grab des Schriftstellers und Publizisten Dietrich Eckart. - 01.01.1935-31.12.1935 Es obliegt dem Nutzer zu prüfen, ob Rechte Dritter an den Bildinhalten der beabsichtigten Nutzung des Bildmaterials entgegen stehen. Freigegeben für die Länder: Deutschland
KdF-Urlauber in Berchtesgaden am Grab Dietrich Eckarts
Quelle: ullstein bild

Stets war das Muster ähnlich: Die zitierten oder zusammengefassten Passagen wurden auf ihren behaupteten entlarvenden Kern über die Niedertracht „der Juden“ reduziert. Eckart als Ich-Erzähler des Zwiegesprächs machte Ergänzungen, in denen er weitere Autoren anführte, etwa Zwingli und Spinoza, Dostojewski und Thomas Mann. Auch sie wurden auf meist aus dem Zusammenhang gerissene Sätze reduziert und in diesem einseitigen Sinne als Belege für die judenfeindliche Generallinie des Zwiegesprächs angeführt.

Zum Beispiel ließ Eckart seinen Hitler lamentieren, schon Cicero habe über „das unaufhörliche Versickern des römischen Goldschatzes nach Jerusalem“ geklagt, während der römische Rhetor in seiner klassischen „Rede für Flaccus“ in Wirklichkeit gesagt hatte, dass asiatische Juden kein Gold mehr an den Tempel abgeben sollten – von „römischem Gold“ war gar nicht die Rede. Dass im Übereifer aus Cicero und dem mehr als 140 Jahre später geborenen jüdischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus „Zeitgenossen“ wurden, überrascht angesichts dessen kaum. Weder in „Mein Kampf“ noch in irgendeiner seiner Reden zitierte Hitler selbst übrigens Cicero.

Dietrich Eckart gehörte zu den maßgeblichen Vordenkern des Nationalsozialismus. Er unterstützte Hitlers Putschismus, war radikaler Antisemit. Selbst ein solcher Mensch hat natürlich das Recht auf ein Grab. Aber es muss nicht 93 Jahre nach seinem Tod noch bestehen. Bis zum 100. Todestag 2023 hat Berchtesgaden sieben Jahre Zeit, diese Schande von seinem Friedhof zu entfernen.

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