Keine Stadt war früher und länger „braun“ als Coburg in Oberfranken. Das attestierte ausgerechnet Adolf Hitler persönlich den Einwohnern der stolzen Residenzstadt: „Mit Coburg habe ich Politik gemacht“, sagte der „Führer und Reichskanzler“ am 15. Oktober 1937, als er zum 15. Jahrestag seines ersten Besuches dort eine Festrede hielt: „So wurde der Kampf um diese Stadt zum Markstein in der Entwicklung unserer Bewegung. Nach diesem Rezept haben wir im ganzen Reich der nationalsozialistischen Idee die Bahn frei gemacht und damit Deutschland erobert.“
Erst am 11. April 1945 endete die braune Phase in der tatsächlich fast tausendjährigen Stadtgeschichte: US-Truppen besetzten kampflos die praktisch unversehrte Stadt. Jetzt hat der Stadtrat von Coburg beschlossen, die eigene Vergangenheit im 20. Jahrhundert durch das Münchner Institut für Zeitgeschichte (IfZ) aufarbeiten zu lassen. Der Stadtrat gab am Donnerstag grünes Licht; 406.000 Euro stünden dafür in den kommenden vier Jahren zur Verfügung, sagte ein Stadtsprecher.
Aufzuarbeiten ist einiges. In Coburg gab es schon 1929 die erste absolute Mehrheit der NSDAP in einem kommunalen Parlament. Hier amtierte zum ersten Mal in Deutschland ein Nationalsozialist in führender Funktion als Repräsentant der Stadt: Franz Schwede, NSDAP-Mitglied seit 1922, wurde im Sommer 1930 Dritter, Anfang 1931 Zweiter und schließlich im Oktober desselben Jahres Erster Bürgermeister. Unter seiner Ägide stellte Coburg den ersten Ehrenbürgerbrief für Adolf Hitler aus – Ende Februar 1932, also elf Monate vor seiner Ernennung zum Reichskanzler.
Mit dem Projekt ist eine Kommission betraut, die von dem pensionierten Mediävisten Gert Melville geleitet wird. Sie hat das Projekt dem IfZ übertragen, das jetzt nach einem geeigneten Historiker sucht. Weil der Herzog von Sachsen-Coburg während der 1920er- und 1930er-Jahre, Carl Eduard, familiär enge Beziehungen zum britischen Königshaus hatte, werden wohl auch Forschungsreisen in britische und andere Archive nötig sein. Voraussichtlich Anfang 2017 werde das Projekt starten, sagte der Sprecher.
Aber ist diese Kommission überhaupt notwendig? Harald Sandner, Coburger mit Leib und Seele sowie rühriger Geschichtsforscher, hat da Zweifel. Er hat selbst schon im Jahr 2000 bis dahin unbekannte Details über die braune Vergangenheit veröffentlicht und elf Jahre später eine gewichtige Biografie über „Hitlers Herzog“ Carl Eduard vorgelegt.
„Das Institut für Zeitgeschichte ist sicher die erste Adresse, um derartige Studien zu erarbeiten“, sagte Sandner der „Welt“. Generell begrüße er jeden Fortschritt in der jahrzehntelangen „Verdrängung und der Geschichtsmanipulation in Coburg“. Allerdings komme das Forschungsprojekt zu spät: „Angesichts der sehr angespannten Haushaltslage nun Hunderttausende von Euro auszugeben, erscheint mir angesichts des zu erwartenden Ergebnisses fragwürdig.“ Das Geld wäre in dem seit Jahrzehnten projektierten Stadtmuseum „besser und nachhaltiger“ angelegt als in einer Fachstudie für eine überschaubare Leserschaft.
Sandner, der zuletzt mit dem weltweit wahrgenommenen Itinerar Adolf Hitlers, einer Zusammenstellung all seiner Aufenthaltsorte und Reisen 1889 bis 1945, für Furore gesorgt hatte, war viele Jahre wegen seines Interesses an der NS-Vergangenheit seiner Heimatstadt angefeindet worden. Noch heute findet sich auf der Website des Tourismus-Büros von Coburg zwischen den Jahren 1920 und 1954 keinerlei Eintrag – als ob es die tiefbraune Phase der Stadtgeschichte nie gegeben hätte.
„Coburg ist das typische Beispiel dafür, wie mit zäher Ausdauer und Beharrlichkeit im Kampf der Erfolg zu sichern ist“, sagte Adolf Hitler, der zwischen 1922 und 1937 rund ein Dutzend Mal selbst in der Stadt auftrat. Man darf gespannt sein, was der demnächst ausgewählte Historiker über die Erkenntnisse von Sandner und einigen anderen engagierten Heimatforschern hinaus feststellen wird.
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