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Geschichte Sterben an der Somme

„Zerrissen, in Stücke gehackt, zu Brei gestampft“

Die Soldaten an der Somme 1916 hatten am meisten Angst vor dem Tod durch Granaten. Der Weltkriegsexperte Gerhard Hirschfeld erklärt, warum diese blutige Schlacht in Deutschland fast vergessen ist.
Leitender Redakteur Geschichte
German machine-gun emplacement destroyed by British artillery fire, France, World War I, 1916. During the Battle of the Somme. (Stapleton Historical Collection / Heritage Images) | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer. German machine-gun emplacement destroyed by British artillery fire, France, World War I, 1916. During the Battle of the Somme. (Stapleton Historical Collection / Heritage Images) | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Ein deutscher MG-Stand an der Somme nach der Eroberung durch britische Truppen
Quelle: picture alliance / Heritage Imag

Rund vier Millionen Soldaten kämpften zwischen Ende Juni und Ende November 1916 in der nordfranzösischen Landschaft Picardie, beiderseits des Flüsschens Somme. Ungefähr jeder vierte von ihnen kam dabei ums Leben oder wurde nennenswert verwundet.

Trotzdem kann jedenfalls in Deutschland kaum mehr jemand etwas mit der Schlacht an der Somme anfangen. In Großbritannien und anderen Ländern des Commonwealth ist das anders; hier stehen diese Kämpfe symbolisch für den gesamten Ersten Weltkrieg.

Prof. Dr. Gerhard Hirschfeld
Gerhard Hirschfeld leitete jahrzehntelang die Bibliothek für Zeitgeschichte in Stuttgart
Quelle: Privat

Zu den besten Kennern der deutschen, aber auch der europäischen Geschichte beider Weltkriege gehört Gerhard Hirschfeld. Der Historiker leitete 22 Jahre lang die Bibliothek für Zeitgeschichte in Stuttgart und war von 2000 bis 2010 Präsident des renommierten Comité Internationale de la Deuxième Guerre Mondiale. Gerade ist der von ihm in Zusammenarbeit mit Gerd Krumeich und Irina Renz herausgegebene Band „Die Deutschen an der Somme“ in stark erweiterter Neuausgabe erschienen.

Die Welt: Fast eine halbe Millionen deutsche Soldaten fielen an der Somme oder wurden verwundet. Warum spielt diese Schlacht trotzdem in der deutschen Erinnerungskultur fast keine Rolle, im Gegensatz zu Verdun?

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Gerhard Hirschfeld: Die fünf Monate währende Somme-Schlacht ist die mit Abstand verlustreichste Schlacht des Ersten Weltkriegs – mit ca. 1,1 Millionen Verlusten, also toten, verwundeten, vermissten und gefangenen Soldaten auf beiden Seiten. Für eine Mythenbildung oder eine aufgeladene Symbolik boten die Schlacht und ihr „unentschiedener“ Ausgang schlicht keine Grundlage.

Gerhard Hirschfeld u.a. (Hrsg.): "Die Deutschen an der Somme 1914-1918" (Klartext Verlag Essen 2016. 361 S., 19,95 Euro)
Gerhard Hirschfeld u.a. (Hrsg.): "Die Deutschen an der Somme 1914-1918" (Klartext Verlag Essen 2016. 361 S., 19,95 Euro)
Quelle: klartext Verlag

Die Welt: Im Gegensatz zur Schlacht um Verdun?

Gerhard Hirschfeld: Genau. Anders als „Verdun“, das für die Franzosen zum Symbol eines heroischen Widerstands und für die Deutschen immerhin zum Sinnbild der Sinnlosigkeit eines Kriegs wurde, eignete sich die „Somme“ nicht für spätere Verklärungen. Insbesondere nach 1933 verschwand diese Schlacht beinahe vollkommen aus der öffentlichen wie auch der literarischen Kriegserinnerung.

Die Welt: Wie überrascht war denn im Sommer 1916 die Führung der deutschen Truppen über die Offensive ihrer Gegner?

Hirschfeld: Die zweite Oberste Heeresleitung (OHL) unter Erich von Falkenhayn hatte bereits seit 1915 mit einem großen „Entlastungsangriff“ der Alliierten in Nordfrankreich gerechnet. Trotzdem setzte Falkenhayn alles auf einen deutschen Durchbruch bei Verdun, um von dort aus die seit November 1914 weitgehend erstarrte Westfront wieder in Bewegung zu setzen. Dies führte zwangsläufig zu einer Vernachlässigung des Nachschubs an schweren Waffen wie auch der Truppenstärken im Frontabschnitt der Picardie entlang der Somme.

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Die Welt: War das nicht kurzsichtig?

Hirschfeld: Die OHL schien darauf zu vertrauen, dass die stark befestigten, teilweise betonierten deutschen Stellungen mit ihren unterirdischen Stollen und Schutzräumen dem alliierten Angriff trotzen würden. Diese Annahme erwies sich als nicht ganz unbegründet, wie der ungemein verlustreiche Angriff der Briten am 1. Juli zeigte, dem ein tagelanger Dauerbeschuss der britischen und französischen Artillerie vorausgegangen war.

Die Welt: Ernst Jüngers Buch „In Stahlgewittern“, das vielleicht bekannteste Zeugnis über den Ersten Weltkrieg, behandelt zu einem wesentlichen Teil Erlebnisse an der Somme. Ist es zuverlässig?

Hirschfeld: „In Stahlgewittern“ basiert auf Kriegstagebüchern, die Jünger vom ersten Tag seines Einsatzes im Dezember 1914 bis zu seiner letzten Verwundung kurz vor Kriegsende 1918 geführt hat. Er vermag überaus anschaulich zu zeigen, dass die „Somme“ in der Tat eine neue, unerhörte Qualität des Krieges darstellt: durch die beschriebene Wirkung des tagelangen Bombardements und den alltäglich gewordenen Einsatz von Gas oder die Brutalität des Kampfes Mann gegen Mann (wobei er etwa die Tötung eines Engländers geradezu mit Stolz vermerkt), aber auch die kühl-analytische Beschreibung der von den Deutschen angerichteten Zerstörungen bei ihrem Rückzug in die sogenannte Siegfried-Stellung im März 1917.

Die Spuren des Gemetzels sind noch immer zu sehen

Mittlerweile ist Gras über das Schlachtfeld von Verdun gewachsen. Dichte Wälder sind zu sehen. Und trotzdem: Die Narben, die das Gemetzel vor gut 100 Jahren in die Erde geschlagen hat, sind gut zu erkennen.

Quelle: Die Welt

Die Welt: Es gibt viele weitere Augenzeugenberichte über die Schlacht aus deutscher Sicht, zum großen Teil gesammelt in der Stuttgarter Bibliothek für Zeitgeschichte, die Sie lange geleitet haben. Wie erlebten die Männer an der Front diesen fünf Monate langen Kampf?

Hirschfeld: Eine immer wiederkehrende Beschreibung galt dem Gefühl, dem Inferno der Schlacht hilflos ausgeliefert zu sein, und die ständige Angst, verschüttet, verletzt oder getötet zu werden. Der Tod des Einzelnen verlor dabei für die Soldaten die ihm – nicht zuletzt von den Kirchen – zugeschriebene Sinnhaftigkeit, vor allem auch, weil die Körper der Gefallenen häufig bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt waren.

Die Welt: Die Art des Todes macht einen Unterschied?

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Hirschfeld: Ja, besonders solche Vorstellungen stellen für viele eine traumatische Perspektive dar. „Durch die Kugel zu sterben, scheint nicht schwer; dabei bleiben die Teile unseres Wesens unversehrt“, beschrieb ein junger Soldat in einem Feldpostbrief sein ureigenes „Schlachtenerlebnis“. Und er fügte hinzu: „Aber zerrissen, in Stücke gehackt, zu Brei gestampft zu werden, ist eine Angst, die das Fleisch nicht ertragen kann.”

Die Welt: Nach der im Wesentlichen erfolgreichen Abwehr der britisch-französischen Offensive 1916 zog sich die deutsche Armee Mitte März 1917 um ein paar Dutzend Kilometer in vorbereitete Stellungen zurück. Warum?

Schlacht an der Somme mit erstem Panzer

Die Alliierten starteten am 1. Juli 1916 mit einer Großoffensive am Flüsschen Somme in der Champagne. Am ersten Tag haben die Briten fast 20.000 Tote und über 35.000 Verwundete zu beklagen.

Quelle: STUDIO_HH

Hirschfeld: Die Entscheidung der dritten OHL unter Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff, einen Frontbogen in Nordfrankreich um ca. 40 Kilometer zurückzunehmen und die Truppen in eine vorbereitete Auffangstellung zu führen, war das Resultat der beiden Großschlachten von 1916. Der Rückzug mit dem Codenamen „Unternehmen Alberich“ im Februar und März 1917 wurde militärisch gesehen geradezu mustergültig geplant und durchgeführt.

Die Welt: Worin bestand das Ziel?

Hirschfeld: Die Absicht war, den Gegner ins Leere laufen zu lassen und ihm das vollständig verwüstete Schlachtfeld zu überlassen, ihn dort gleichsam kräftemäßig zu binden. Allerdings galt ein Rückzug – und sei es auch nur um 40 Kilometer – stets als Eingeständnis einer Niederlage ...

Die Welt: ... riskant ...

Hirschfeld: ... diesen Eindruck suchte die OHL durch gezielte Presseanweisungen und – geradezu ein Novum des Kriegs – mit Berichterstattern vor Ort (wir würden sie heute „embedded journalists“ nennen) zu vermeiden. Was die deutsche Öffentlichkeit nicht erfuhr, waren die schrecklichen Umstände und Konsequenzen dieses militärischen Rückzugs: der massenhafte Einsatz von belgischen und französischen Zwangsarbeitern beim Bau der „Siegfried-Stellung“, die endgültige Zerstörung von fast 200 Orten sowie der gesamten Infrastruktur an der Somme und der Abtransport der noch verbliebenen 100.000 Bewohner in Viehwaggons nach Osten. Dies war eine Strategie der „verbrannten Erde“, wie sie während des Ersten Weltkriegs auch an anderen Frontabschnitten bereits entwickelt und im darauffolgenden Zweiten Weltkrieg schließlich perfektioniert wurde.

Die Welt: Reicht es vielleicht, wenn im deutschen Geschichtsbewusstsein die Schlacht um Verdun als Symbol für den Ersten Weltkrieg verankert ist?

Hirschfeld: Nein. Ohne in eine unangebrachte konkurrierende Interpretation mit Verdun zu treten, darf die „Somme“ für sich in Anspruch nehmen, geradezu ein Menetekel des „totalen Krieges“ zu sein.

Die Welt: Warum?

Hirschfeld: Nicht nur wegen der unerhörten Zahl der dort gefallenen, vermissten und verwundeten Soldaten, sondern vor allem wegen der Bedingungen und des Ausgangs der Schlacht: An der Somme kämpften und schufteten Soldaten und Kontraktarbeiter aus über 20 Nationen – der Weltkrieg war eben ein globaler Krieg. In der Somme-Schlacht wurden zum ersten Mal Panzer (Tanks) eingesetzt, die später zu einer kriegsentscheidenden Waffe werden sollten. Und hier entwickelte sich das mit Maschinengewehren bestückte Flugzeug zu einer veritablen Angriffswaffe.

„Die Narbe“ - Womit die Menschen an der Westfront noch heute leben

100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg ziehen sich die Spuren der Kämpfe noch immer wie eine Narbe durch Frankreich und Belgien, durch das Leben der Menschen – bis heute. Eine Reise an die Front.

Quelle: Die Welt

Die Welt: Das sind gewissermaßen technische Aspekte ...

Hirschfeld: ... entscheidend aber war, dass diese Schlacht keine Sieger hatte, auch keine moralischen, sondern nur Verlierer kannte. Besonders sinnfällig hierfür ist die eindrucksvolle Gedenkstätte von Thiepval, das an der Stelle eines verschwundenen Dorfes steht. Auf den 16 Pfeilern des Denkmals sind die Namen von 73.000 in der Somme-Schlacht schlicht „pulverisierten“ Soldaten aus Großbritannien und den ehemaligen Dominions eingemeißelt: „Their name liveth for evermore“.

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