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Geschichte Erster Weltkrieg

„Die Gemüseabfälle zu dickem Extrakt eingekocht“

Im Juli 1916 wurden die ersten städtischen Großküchen im Deutschen Reich eingerichtet. Ziel war es, Hungeraufstände zu verhindern, die nicht zuletzt wegen der britischen Blockade drohten.
Leitender Redakteur Geschichte
Heimatfront wird 1916/17 zum "Steckrübenwinter"

Die Bevorzugung der kriegswichtigen Industrien hat für das Deutsche Reich ernsthafte Folgen. Vor allem im "Steckrübenwinter" 1916/17 zeigen sich die Auswirkungen der Seeblockade gegen Deutschland.

Quelle: STUDIO_HH

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Wer hungrig ist, wird schnell aufsässig. Wem die Obrigkeit weder einen vollen noch einen wenigstens halbwegs ausreichend gefüllten Magen garantieren kann, der ist selten besonders gehorsam. Deshalb eröffneten verschiedene deutsche Städte zu Beginn des dritten Kriegsjahrs im Sommer 1916 kommunale Großküchen, in denen effizient der vor allem durch die britische Seeblockade begrenzte Lebensmittelnachschub in möglichst viele satt machende Rationen umgesetzt werden sollte.

Am 10. Juli 1916 war es in der Reichshauptstadt so weit: Berlins Stadtverwaltung eröffnete zehn Hauptküchen, mit täglichen Kapazitäten zwischen jeweils 7000 und 49.000 Liter Eintopf. Insgesamt konnten die Großküchen so Mittagessen für eine Viertelmillion Menschen liefern.

Das fertig gekochte Essen wurde an zunächst 62, später 77 Ausgabestellen gebracht und dort warm gehalten. Zwischen 11.30 und 13.30 Uhr konnten sich Bedürftige ihr Mittagessen abholen. Um 14.30 Uhr schlossen die Ausgabestellen; der nicht verbrauchte Rest der Suppe wurde dann in die Kriegsgefangenenlager der Stadt gebracht.

„Die Küchen wurden mit allen modernen Einrichtungen ausgestattet, die sich in großen Hotels und Restaurants bewährt hatten, wie elektrisch betriebenen Wasch- und Spülmaschinen für Kartoffeln und Schneidemaschinen für Gemüse“, berichtete Berlins Stadtarchivar Ernst Kaeber 1921 in seinem Buch über „Berlin im Weltkriege. Fünf Jahre städtische Kriegsarbeit“.

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Effizienz in jeder Hinsicht war ein Grundgedanke: „Aus dem Abwasser der Kartoffelschälmaschinen gewannen die Küchen die in ihm enthaltene Stärke und verwandten sie wieder bei der Zubereitung der Speisen.“ Auf diese Weise wurde immerhin ein Prozent der aufgewandten Kartoffelmenge, das sonst ins Abwasser gelangt wäre, als Kartoffelstärke zurückgewonnen.

Kaeber hatte sich das Verfahren genau erklären lassen: „Die Kartoffelschalen wurden durchsiebt und ihre stärkehaltigen Bestandteile in besonderen Gefäßen aufgefangen und getrocknet, die Gemüseabfälle zu dickem Extrakt eingekocht.“

Im Winter 1916/17 allerdings musste diese intensive Verwertung der Küchenabfälle eingestellt werden, als wegen des Kohlemangels nicht mehr genug Stadtgas zu Verfügung stand, um die modernen Gasherde auch nachmittags zu betreiben.

Frauen und Kinder stehen in Berlin Schlange an einem Lebensmittelgeschäft
Frauen und Kinder stehen in Berlin Schlange an einem Lebensmittelgeschäft
Quelle: picture alliance / dpa

In den Ausgabestellen der kommunalen Volksküchen, deren Personal weitgehend aus dienstverpflichteten Frauen bestand, aßen Berliner aus der gesamten Unter- und unteren Mittelschicht: „Ohne alle Rücksicht auf soziale Klassen und die Unterschiede des Einkommens wollten sie jedem ein Mittagessen bieten, das für die bescheidenen Ansprüche, wie sie der Krieg verlangte, ausreichte.“

In allen zehn Küchen wurde das gleiche, meist allerdings eintönige und dünne Essen gekocht, was den Einkauf und die Vorratshaltung vereinfachte. „Wem das nicht behagte, der mochte sich an die Mittelstandsküchen halten, die von den Wohlfahrtsvereinen gegründet worden waren“, merkte Kaeber an.

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Ganz ähnlich reagierten auch andere Kommunen auf die immer schwierigere Versorgung der Stadtbevölkerung. In Freiburg zum Beispiel, wo 1913 die örtliche Armenspeisung noch rund 1100 Mittagessen ausgegeben hatte, wurden dreieinhalb Jahre später fast 8000 Portionen pro Tag nachgefragt – jeder zehnte Einwohner war also auf die städtische Speisung angewiesen.

Im nur knapp halb so großen Hildesheim wurden zeitweise 12.000, im Winter 1916/17 sogar bis zu 17.000 Menschen pro Tag verköstigt. Annie Dröge, eine Britin, die ihre Heirat nach Deutschland verschlagen hatte, notierte in ihr Tagebuch: „Diese Küchen sind eine feine Einrichtung für arme Leute. Man kann dort essen (wofür man seinen eigenen Löffel mitbringen muss) oder das Essen in eine Dose füllen lassen und zu Hause essen.“

Berliner drängen sich 1916 vor einer Gulaschkanone – die Portion kostete 35 Pfennig
Berliner drängen sich 1916 vor einer Gulaschkanone – die Portion kostete 35 Pfennig
Quelle: picture alliance / Everett Colle

Kostenlos allerdings war das Essen der Volksküchen in der Regel nicht. Vielmehr kostete es, regional verschieden, zwischen 25 und 50 Pfennig. Das entsprach dem Stundenlohn einer Hilfsarbeiterin oder dem Drittel dessen, was ein Facharbeiter pro Stunde bekam. Auch mussten pro Ration die entsprechenden Lebensmittelmarken abgegeben werden.

Denn es ging auch gar nicht um kostenlose Versorgung von Bedürftigen, also um klassische Armenspeisung. Vielmehr gab es im Sommer 1916 allein in Berlin Hunderttausende Familien, die wegen des ständigen Mangels an Kohlen nicht mehr kochen und wegen ihrer Arbeit nicht stundenlang anstehen konnten. Für sie waren Eintöpfe in öffentlichen Küchen die einzige Möglichkeit, überhaupt eine warme Mahlzeit am Tag zu ergattern.

Ende 1916 und vor allem in den ersten Monaten 1917 allerdings zeigte sich, dass diese Vorsorge der Behörden nicht ausreichte: Im berüchtigten „Steckrübenwinter“ verhungerten Zehntausende Menschen in deutschen Städten; noch mehr starben an Krankheiten, denen ihre ausgezehrten Körper nichts mehr entgegenzusetzen hatten.

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