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Geschichte Skagerrakschlacht

Ein Sieg auf See sollte die Flotte rechtfertigen

Ende Mai 1916 fand das größte Seegefecht zwischen Schlachtschiffen statt. Einen klaren Gewinner gab es nicht, aber die enorm teure deutsche Hochseeflotte lief danach zu keiner Operation mehr aus.
Leitender Redakteur Geschichte
Die Skagerrakschlacht 1916, wie sie der Marinemaler Claus Bergen darstellte Die Skagerrakschlacht 1916, wie sie der Marinemaler Claus Bergen darstellte
Die Skagerrakschlacht 1916, wie sie der Marinemaler Claus Bergen darstellte
Quelle: Marineschule der Bundeswehr in Flensburg-Mürwick

Nie zuvor kämpften, gemessen an der Tonnage, mehr Kriegsschiffe gegeneinander: Am 31. Mai und 1. Juni 1916 lieferten sich insgesamt 251 britische und deutsche Einheiten vom Schlachtschiff bis zum Torpedoboot nördlich von Jütland im Skagerrak ein rund fünf Stunden langes Gefecht.

Wohl niemand in Deutschland kennt sich besser mit dieser Schlacht aus als Michael Epkenhans. Der Marinehistoriker ist leitender Wissenschaftler am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaft der Bundeswehr in Potsdam.

Michael Epkenhans ist der leitende Wissenschaftler am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaft der Bundeswehr in Potsdam
Michael Epkenhans ist der leitende Wissenschaftler am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaft der Bundeswehr in Potsdam
Quelle: ZMSBw

Die Welt: Nach der Skagerrakschlacht beanspruchten beide Seiten, gesiegt zu haben. Wer hat, nüchtern betrachtet, tatsächlich gesiegt?

Michael Epkenhans: Wenn wir uns die reinen Zahlen anschauen, dann sieht es auf den ersten Blick nach einem deutschen Sieg aus, und deswegen haben die Deutschen die Schlacht 1916 wie auch in späteren Jahren groß gefeiert: „Nur“ 2551 toten deutschen Seeleuten standen 6094 englische gegenüber. Ähnlich war die Diskrepanz bei der Tonnage: Schiffe mit einer Verdrängung von 61.180 Tonnen verlor die Hochseeflotte, 116.871 Tonnen dagegen die Grand Fleet. Darunter waren drei moderne Schlachtkreuzer und drei ältere Panzerkreuzer. An großen Schiffen hatte die Kaiserliche Marine hingegen nur den Verlust eines älteren Linienschiffs und eines Großen Kreuzers zu beklagen.

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Die Welt: Das klingt ziemlich eindeutig …

Epkenhans: … nun ja. Viele deutsche Schiffe waren durch das Feuer der englischen Schiffsartillerie teilweise schwer beschädigt worden und für längere Zeit nicht einsatzbereit. John Jellicoe, der Befehlshaber der Grand Fleet, hatte am Ende der Schlacht immer noch 24 voll einsatzbereite Schlachtschiffe zur Verfügung; Reinhard Scheer, der Chef der Hochseeflotte, dagegen nur noch sieben.

Die Welt: Und wie sah es jenseits solcher Statistik aus?

Epkenhans: Richtig, das muss man sich ansehen! Viel entscheidender als der Vergleich dieser Zahlen ist nämlich der Blick auf die strategische Lage in der Nordsee. Und hier muss man feststellen, dass sich im Vergleich zu der Situation vor der Schlacht nichts geändert hatte: Die Hochseeflotte hatte zwar an der Tür des Käfigs gerüttelt, in dem sie seit Kriegsbeginn saß, diese aber nicht öffnen können. Admiral Scheer hat dies in seinem geheimen Bericht an den Kaiser vom 4. Juli 1916 auch offen eingestanden. Selbst unter günstigsten Umständen hielt er es angesichts der großen zahlenmäßigen Überlegenheit der Royal Navy wie auch der ungünstigen geografischen Lage Deutschlands in einem Seekrieg mit England für unmöglich, das „perfide Albion“ mithilfe der Hochseeflotte zum Frieden zwingen zu können.

Die Welt: Die Hochseeflotte war bekanntermaßen der Royal Navy massiv unterlegen. Warum riskierte es Flottenchef Scheer dennoch, fast alle seine Schiffe auf einmal einzusetzen?

Die Admirale Reinhard Scheer (l.) und Franz Hipper waren die Kommandeure der Skagerrakschlacht auf deutscher Seite
Die Admirale Reinhard Scheer (l.) und Franz Hipper waren die Kommandeure der Skagerrakschlacht auf deutscher Seite
Quelle: picture alliance / akg-images
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Epkenhans: Scheer hatte nie die Absicht, sich ein Gefecht mit der ganzen Grand Fleet zu liefern. Ihm war klar, dass die Hochseeflotte dann nur verlieren konnte. Nachdem die Flotte mehr als ein Jahr untätig in den Häfen gelegen hatte, wollte Scheer jedoch was tun. Ein Erfolg auf See sollte den Bau der Schiffe rechtfertigen. Zudem wollte die Marine beweisen, dass sie – wie das Heer, das in den Schützengräben vor Verdun verblutete – ebenfalls bereit war, für Kaiser und Reich zu kämpfen, notfalls auch zu sterben. Mit Vorstößen an die englische Küste sowie der Störung des Handelsverkehrs zwischen England und Norwegen versuchte Scheer, Teile der englischen Flotte aus den Häfen zu locken und diese dann mit seiner Übermacht zu vernichten. Diese Überlegungen lagen auch dem Vorstoß vom 31. Mai 1916 zugrunde. Dass Scheer dann auf die gesamte Grand Fleet stieß, war für ihn eine völlige Überraschung.

Die Welt: Was wusste die Royal Navy von dem Vorhaben der deutschen Flotte?

Epkenhans: Während Scheer nur vage Vorstellungen davon hatte, wo sein Gegner sich befand, wussten die Briten seit dem 28./29. Mai, dass die Hochseeflotte einen Vorstoß plante – und zwar durch Abhören deutscher Funksignale. Bereits am Abend des 30. Mai gingen daher alle Einheiten in See, um eine sogenannte Auffangstellung einzunehmen. Details über Ziel und Umfang des deutschen Vorstoßes kannte Jellicoe zwar nicht; auch ob und wann das Gros der Hochseeflotte unter Scheer tatsächlich ausgelaufen war, war ihm aufgrund von Fehlinterpretationen der aufgefangenen Funksprüche in der Abhörstelle der Admiralität nicht bekannt. Gleichwohl, entscheidend war, dass die Grand Fleet auf See und nicht in ihren Stützpunkten war, als Scheers Schlachtschiffe und voraus Admiral Franz Hippers Schlachtkreuzer in die nördliche Nordsee dampften.

Der hochmoderne und wertvolle Schlachtkreuzer „SMS Seydlitz“ war nach der Skagerrakschlacht faktisch kaum noch mehr als ein Wrack
Der hochmoderne und wertvolle Schlachtkreuzer „SMS Seydlitz“ war nach der Skagerrakschlacht faktisch kaum noch mehr als ein Wrack
Quelle: Marineschule Flensburg-Mürwick

Die Welt: Nach der Skagerrakschlacht lief die deutsche Schlachtflotte nie mehr vollständig aus; die Schiffe lagen nutzlos auf Reede in Wilhelmshaven und Kiel, wie Nicolas Wolz in seinem Buch „Und wir verrosten im Hafen“ zeigt. War das Prestigeprojekt eine gigantische Fehlinvestition?

Epkenhans: Wenn man Kaiser Wilhelms II. markigen Spruch: „Der Dreizack gehört in unsere Faust“, als Maßstab nimmt, dann war der Flottenbau ein grandioses Fiasko. Davon konnten der Kaiser wie auch der Architekt seiner Flotte, Großadmiral Alfred von Tirpitz, nur träumen. Als „Fleet in being“ hat die Flotte aber doch manches geleistet: Sie schützte die Küsten vor einer möglichen Invasion, sie blockierte die Ostsee für alliierte Nachschublieferungen nach Russland, schützte die eigenen Seewege nach Schweden und sicherte die Ein- und Auslaufwege der U-Boote. Diese Leistungen sollte man trotz aller berechtigten Kritik nicht unterschätzen.

Die Welt: Ein Jahr nach der Schlacht kam es zu ersten Meutereien in der Hochseeflotte; Ende Oktober 1918 führte dann der Befehl, ohne Rücksicht auf Verluste auszulaufen und den Kampf gegen die überlegene Royal Navy aufzunehmen, zum Aufstand und zum Ausbruch der Revolution. Welche Bedeutung hatte der ungeklärte Ausgang der Schlacht von Ende Mai 1916 für diese politischen Folgen?

Epkenhans: Die Skagerrakschlacht wirkte sich indirekt auch auf die weitere Entwicklung in der Marine wie auch im Innern aus. Obwohl viele Kommandanten die Leistungen ihrer Besatzungen in ihren Abschlussberichten ausdrücklich hervorhoben, änderte sich an der Realität der Klassengesellschaft an Bord nichts: Ungleiche Versorgung, das heißt schlechtes Essen für die Mannschaften bei gleichzeitig opulenten Gelagen für die Seeoffiziere, harte Strafen für vergleichsweise geringfügige Vergehen oder die Ungleichbehandlung bei Beförderungen sind dafür nur einige Beispiele.

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Die Welt: Es kam zu Meutereien …

Epkenhans: Ja, nur ein Jahr später machten die Matrosen ihrer Enttäuschung Luft. Sie verweigerten das Essen einfach oder gingen eigenmächtig von Bord, nachdem ihnen die wenigen Freizeitaktivitäten, die ihnen überhaupt gewährt wurden, aus ihrer Sicht völlig willkürlich gestrichen worden waren. Der Preis dafür war freilich hoch – zwei Matrosen wurden nach fragwürdigen Kriegsgerichtsverfahren erschossen, viele andere zu jahrelangen Zuchthausstrafen verurteilt. Als die Marineführung im Herbst 1918, als die militärische Niederlage für alle unübersehbar vor der Tür stand, einen Vorstoß plante, der einem Selbstmordkommando glich, meuterten die Matrosen erneut. Sie hatten einfach keine Lust, für Offiziere und das System, das diese repräsentierten, in letzter Minute unnötig zu sterben.

Die Welt: Was ist die Bedeutung der Schlacht hundert Jahre später?

Epkenhans: Natürlich ist die Skagerrakschlacht aus heutiger Perspektive nur noch ein historisches Ereignis. Für Historiker und Marineoffiziere ist sie gleichwohl ein äußert spannendes Thema beim Studium von Marinepolitik, Seestrategie, Taktik und Operationsführung im Zeitalter der sich rasant beschleunigenden Industrialisierung und Technisierung des Krieges. Die Erinnerung an diese Schlacht kann wie die anderen Materialschlachten im Jahre 1916 zugleich helfen zu begreifen, warum Kriege entstehen und wie wichtig es ist, nach Wegen zu suchen, diese zu verhindern. Sowohl das deutsch-englische Flottenwettrüsten, das am Ende zu dieser Seeschlacht geführt hat, als auch die Juli-Krise 1914 hätten bei mehr „Fantasie“ (Henry Kissinger) – und das heißt: mehr Bereitschaft zum politischen Kompromiss auf allen Seiten – keineswegs in die Katastrophe des Ersten Weltkrieges mit all seinen Folgen münden müssen. Zeichen einer „Versöhnung über den Gräbern“, wie sie die Royal Navy und die Deutsche Marine in wenigen Wochen zum zweiten Mal nach 1966 durch ein Treffen zweier Kriegsschiffe auf dem Schlachtfeld in der Nordsee am 31. Mai planen, können insofern hinsichtlich ihrer symbolischen Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

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