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Geschichte Erster Weltkrieg

Als Deutsch-Südwestafrika kapitulieren musste

Im Juli 1915 ergab sich mit Deutsch-Südwest die zweite deutsche Kolonie in Afrika der Entente. Bevor sich dort die Weißen bekriegten, hatte die deutsche Verwaltung Herero und Nama ermordet.

Das Ende war absehbar: Gegen zahlenmäßig achtfach überlegene und noch dazu technisch besser ausgestattete Gegner ist ein Erfolg versprechender Kampf auf Dauer nicht möglich. So kapitulierten am 9. Juli 1915 der letzte Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika, Theodor Seitz, und der Kommandant seiner Schutztruppe, Oberstleutnant Victor Franke. Ihren 3400 Mann standen mindestens 23.000 Soldaten der Südafrikanischen Union gegenüber, die sie bereits seit Monaten Richtung Norden gedrängt hatten.

Damit endete, nach 31 Jahren, das Abenteuer deutscher Kolonialherrschaft im Süden Afrikas. Begonnen hatte sie am 7. August 1884. Der Bremer Tabakhändler Adolf Lüderitz hatte die dünn besiedelte Region an der Atlantikküste samt Hinterland „bis zu einer Ausdehnung von 20 geografischen Meilen landeinwärts“ mit militärischem Pomp „unter den Schutz und die Oberherrlichkeit Seiner Majestät“ Kaiser Wilhelms I. gestellt.

Bereits eineinhalb Jahre zuvor hatte Lüderitz’ Mittelsmann Heinrich Vogelsang in einem fragwürdigen Geschäft mit dem Nama-Häuptling Joseph Fredericks die territoriale Grundlage für das deutsche „Schutzgebiet“ gelegt. Während Fredericks lediglich die englische Meile, umgerechnet rund 1,6 Kilometer, als Maßstab kannte, legte Vogelsang bei den Vertragsgesprächen die deutsche Einheit von 7,4 Kilometer zugrunde.

Es kam zum Streit zwischen dem Häuptling und seinen deutschen Verhandlungspartnern, der aber schließlich einvernehmlich beigelegt wurde: Fredericks bekam 600 Pfund Sterling und 260 ältere britische Gewehre. Reichskanzler Otto von Bismarck bestätigte, dass das Deutsche Reich die Erwerbungen von Lüderitz unter seinen Schutz stellte. So wurde aus dem privat erworbenen Gebiet eine Kolonie.

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Bald zeigte sich allerdings, dass mit dem neu erworbenen Land nicht allzu viel anzufangen war: Schlechte Böden und teilweise extremes Klima verhinderten die Urbarmachung; Plantagen konnten nur mit großem Aufwand und kaum kostendeckend betrieben werden. Der größte Teil Deutsch-Südwestafrikas taugte nur zur Viehhaltung.

Nicht nur deshalb erwies sich das Abenteuer im Süden Afrikas als teure Fehlkalkulation. Die Kolonialherren verzettelten sich zudem in immer neuen, kostspieligen militärischen Auseinandersetzungen mit den beiden größten Bevölkerungsgruppen in dem Gebiet, den Nama und den Herero. Die Kämpfe steigerten sich zu einem Vernichtungsfeldzug, der Zehntausende Opfer forderte. Grausamer Höhepunkt war wohl die Vertreibung ganzer Herero-Stämme in die Wüste. Ein Generalstabsoffizier in Berlin notierte wenig später: „Die wasserlose Omaheke sollte vollenden, was die deutschen Waffen begonnen hatten: die Vernichtung des Hererovolkes.“

„Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen“: General Adrian Dietrich Lothar von Trotha (1848–1920)
„Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen“: General Adrian Dietrich Lothar von Trotha (1848–1920)
Quelle: picture-alliance / dpa

Der eigens in die Kolonie entsandte General Lothar von Trotha wusste genau, was er wollte: einen „Rassenkrieg“, wie er ihn schon 1897 in der deutschen Kolonie Ostafrika erwartet hatte (und gern geführt hätte). Oft sprach Trotha 1904/5 von „Strömen von Blut“; wenn es um die Niederschlagung der Hereros ging, war „vernichten“ offenbar sein Lieblingswort.

Berüchtigt ist sein Befehl vom 2. Oktober 1904: „Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen.“ In sein Tagebuch schrieb der General den Satz: „Es ist selbstverständlich, dass ein Krieg in Afrika nicht nach den Maßstäben der Genfer Konvention geführt werden kann.“

Niemand weiß, wie viele Herero diesem Feldzug zum Opfer fielen. Die Schätzungen schwanken zwischen 10.000 und 60.000 Toten. Viele Tausend Überlebende wurden in „Konzentrationslager“ genannte Haftstätten gesteckt und mussten bis 1908 mörderische Zwangsarbeit leisten; viele starben.

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Ohne Zweifel erfüllt das Vorgehen von Trothas und seiner Offiziere, zu denen auch Victor Franke gehörte, die 1948 von den Vereinten Nationen formulierte Definition eines Genozids. Das hat indirekt die Bundesregierung auch anerkannt, indem 2004 die damalige Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul während eines Namibia-Besuchs erklärte: „Die damaligen Gräueltaten waren das, was heute als Völkermord bezeichnet würde.“

Die Kämpfe während des Herero-Aufstandes in einem französischen Journal
Die Kämpfe während des Herero-Aufstandes in einem französischen Journal
Quelle: picture-alliance / akg-images

Am 6. Juli wollen jetzt Aktivisten aus dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika und deutsche Unterstützer Bundespräsident Joachim Gauck eine Unterschriftenliste überreichen. Darin wird die Bundesrepublik aufgerufen, den Genozid an den Herero und Nama offiziell anzuerkennen.

Angesichts der folgenden Verbrechen in der jüngeren deutschen Geschichte, des Vernichtungskriegs in Ost- und Südosteuropa 1939 bis 1945 sowie vor allem des Holocausts wäre eine solche Anerkennung sicher kein Problem – wenn nicht manche der Aktivisten damit die Forderung nach Entschädigungen verbinden würden. Angesichts dessen aber kann Deutschland die geforderte Entschuldigung gar nicht abgeben.

Vergangenheit kann durch finanzielle Forderungen von Nachgeborenen, die oft wenn überhaupt nur am Rande betroffen sind, nicht aufgearbeitet werden. Im Gegenteil: Solche konstruierten Ansprüche, im Fall der Hereros nach mindestens vier Generationen, behindern lediglich die Auseinandersetzung mit den Verbrechen früherer Verantwortlicher.

Denn wo sollte man aufhören? Wenn Deutschland nach mehr als einem Jahrhundert selbst ernannte oder echte Nachkommen des Hererovolkes entschädigt, muss dann nicht auch Großbritannien das Gleiche für die Toten seiner Kolonialherrschaft tun? Die USA für alle Afroamerikaner, deren Vorfahren als Sklaven über den Atlantik kamen? Die Spanier für die einheimischen Völker Lateinamerikas? Die Russen für die vom Zarenreich unterdrückten Völker? Die Italiener für die Einwohner aller heutigen Staaten, die einst zum Imperium Romanum gehörten? Und die Griechen für die Menschen, die um 750 vor Christus in Kleinasien, an der Côte d’Azur und in Süditalien aus ihren angestammten Wohngebieten vertrieben wurden, um hellenischen Kolonien Platz zu machen?

Richtig ist es, Überlebende von Staatsverbrechen nach Möglichkeit zu entschädigen, ebenso die direkten Nachkommen von Opfern. Seit 1949 hat die Bundesrepublik deutlich mehr als 100 Milliarden Euro an Leistungen für NS-Opfer erbracht. Auch nur ansatzweise vergleichbar hat sich nie ein anderes Land um die Opfer der eigenen Politik gekümmert.

Um die immer noch nicht ausreichend aufgeklärten Kolonialverbrechen auch, aber nicht nur in Deutsch-Südwestafrika einordnen zu können, wäre es gut, wenn sämtliche konstruierten Entschädigungsansprüche gestrichen würden. Nur dann wird eine sachliche Forschungsarbeit möglich sein, idealerweise in Kooperation mit der Regierung von Namibia und Experten aus aller Welt.

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