WELTGo!
Ihr KI-Assistent für alle Fragen
Ihr KI-Assistent für alle Fragen und Lebenslagen
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Geschichte
  3. Was der BND über Honeckers Rücktritt wusste

Geschichte Friedliche Revolution

Was der BND über Honeckers Rücktritt wusste

Der BND veröffentlicht zum 25. Jahrestag des Mauerfalls ausgewählte Dokumente über den Sturz der SED-Diktatur 1989. Die Spione waren zwar nicht exzellent informiert, aber aufmerksam.
Leitender Redakteur Geschichte
Eines der letzten Fotos von Erich Honecker als SED-Generalsekretär, aufgenommen am 8. Oktober 1989. Neun Tage später wurde er gestürzt, mit seiner eigenen Stimme Eines der letzten Fotos von Erich Honecker als SED-Generalsekretär, aufgenommen am 8. Oktober 1989. Neun Tage später wurde er gestürzt, mit seiner eigenen Stimme
Eines der letzten Fotos von Erich Honecker als SED-Generalsekretär, aufgenommen am 8. Oktober 1989. Neun Tage später wurde er gestürzt, mit seiner eigenen Stimme
Quelle: dpa

Beim ersten Lesen klang die abgehörte Nachricht nicht besonders brisant. Ein „informierter Gesprächspartner“ aus Ost-Berlin hatte am Morgen des 18. Oktober 1989 einen Bekannten in Rostock angerufen und gesagt: „Heute Abend gibt es etwas zu feiern! Ich meine wirklich alles und ganz gravierend.“ Dann sagte er noch: „Ich buchstabiere jetzt mal Führung.“

Die Notiz hielt noch fest: „Der Gesprächspartner aus Berlin (Ost) sprach jedes Wort abwägend und wissend; er empfahl dem Gesprächspartner aus Rostock, heute Abend die ,Aktuelle Kamera‘ anzuschauen.“

Die Mitschrift hätte alles Mögliche bedeuten können – doch die Experten des Bundesnachrichtendienstes in Pullach bei München ahnten, worum es ging: um eine wesentliche Veränderung in der SED-Führung, also an der Spitze der DDR. Warum sonst sollte wohl die „Aktuelle Kamera“, die offizielle Verlautbarungssendung des ostdeutschen Fernsehens, auf einmal sehenswert sein?

Zeitgleich kam noch ein weiterer Bericht in Pullach an: Am Vorabend, gegen 21 Uhr, habe der Leiter der Ständigen Vertretung der DDR in Bonn, Horst Neubauer, die dringende Aufforderung erhalten, sich bis 11 Uhr vormittags im DDR-Außenministerium einzufinden.

Die Einfahrt zum Bundesnachrichtendienst (BND) in Pullach südlich von München. Die Zentrale des deutschen Nachrichtendienstes ist noch immer Sperrgebiet
Die Einfahrt zum Bundesnachrichtendienst (BND) in Pullach südlich von München. Die Zentrale des deutschen Nachrichtendienstes ist noch immer Sperrgebiet
Quelle: dpa

Die Analytiker des BND schlossen: „Aus beiden Informationen ist zu entnehmen, dass noch heute eine ZK-Sitzung stattfindet (Neubauer ist ZK-Mitglied), in der wichtige personelle Entscheidungen beschlossen werden.“ Diese Schlussfolgerung erschien ihnen so wichtig, dass der kurze Bericht umgehend an den BND-Präsidenten Hans-Georg Wieck weitergeleitet wurde, unter der Überschrift „DDR: Bevorstehende Änderung in der SED-Führung“.

Lesen Sie auch

Am Mittwoch hat die interne Forschungs- und Arbeitsgruppe des BND aus Anlass des 25. Jahrestages des Mauerfalls schon zum achten Mal bislang streng geheime Unterlagen aus BND-Beständen veröffentlicht. Zu den insgesamt 96 Dokumenten gehört auch die Information über Erich Honeckers Absetzung vom 18. Oktober 1989.

Wie meist überlässt der Leiter der kleinen Abteilung aus Historikern und Archivaren, Bodo Hechelhammer, die Bewertung der veröffentlichten Dokumente der Öffentlichkeit. Sind die Unterlagen nun ein Beweis dafür, dass der BND gut arbeitete, also die Bundesregierung seriös über die Ereignisse in der DDR informierte? Oder zeigen sie gerade das Gegenteil?

Von der entscheidenden Politbürositzung am 17. Oktober 1989 bekam der Dienst den jetzt publizierten Unterlagen zufolge offenbar nichts mit. Wie jede Woche hatte sich die Führung der SED an diesem Dienstag im Zentralkomitee in Berlin versammelt. Diesmal allerdings kam Erich Honecker, der Generalsekretär, zehn Minuten zu spät – ungewöhnlich, denn üblicherweise war er stets pünktlich.

Wie gewohnt wollte er die Tagesordnung eröffnen, fragte aber routinemäßig, ob es noch Ergänzungen gebe? Unerwartet meldete sich Ministerpräsident Willi Stoph zu Wort und stellte betont sachlich den Antrag, Honecker von seiner Funktion zu entbinden. Minimal persönlicher klang die Begründung: „Erich, es geht nicht mehr. Du musst gehen.“

Anzeige

Das von Krankheit gezeichnete Gesicht des Generalsekretärs wirkte auf einmal noch schmaler. Doch er fing sich: „Gut, beginnen wir mit der Aussprache.“ Am Ende stimmte Honecker, ganz kommunistischer Parteisoldat, für seine eigene Absetzung.

Vom Kronprinzen zum Königsmörder: Egon Krenz löste am 18. Oktober 1989 Erich Honecker als Generalsekretär des ZK der SED ab. Hier bei seinem ersten öffentlichen Auftritt in der neuen Funktion am 18. Oktober
Vom Kronprinzen zum Königsmörder: Egon Krenz löste am 18. Oktober 1989 Erich Honecker als Generalsekretär des ZK der SED ab. Hier bei seinem ersten öffentlichen Auftritt in der neu...en Funktion am 18. Oktober
Quelle: picture-alliance/ ZB

Von dieser dramatischen Zuspitzung am Dienstag erfuhr der BND jedoch offenbar nichts. Erst die Informationen des SED-Spitzenfunktionärs an seinen Bekannten in Rostock von Mittwochmorgen ließen die Alarmglocken klingen – aber immerhin immer noch fast einen halben Tag bevor die Öffentlichkeit von Honeckers Absetzung und dem Aufstieg seines bisherigen Kronprinzen Egon Krenz erfuhr.

Die jetzt veröffentlichten Dokumente zeigen auch, wie jedenfalls kluge Nachrichtendienstler arbeiten: Sie bauen stets ein Hintertürchen ein. Schon am 12. Oktober 1989 hatte der Entwurf eines Berichtes zur Nachrichtenlage argumentiert: „Mit personellen Konsequenzen an der Spitze der SED, in die möglicherweise Honecker selbst einbezogen wird, ist zu rechnen.“ Eine bemerkenswert klare Ansage.

Andererseits schrieb die DDR-Abteilung am 16. Oktober 1989 an die Berichtsabteilung: „Eine ernsthafte Gefährdung der Person Erich Honeckers gilt derzeit als nicht sehr wahrscheinlich, sie kann jedoch nicht ausgeschlossen werden.“ Ausreichend vage formuliert, um in (fast) jedem Fall zu stimmen.

Es ist gut, dass der BND zum wiederholten Mal Einblick gibt in die erhaltenen Unterlagen. Denn sie machen deutlich, dass die Pullacher weder so abgrundtief böse und verschlagen sind, wie manche ihrer Gegner meinen, noch so idiotisch und überflüssig, wie andere ihrer Kritiker glauben.

Wobei im Falle von Honeckers Abgang tatsächlich die öffentlichen Medien besser informiert waren als der BND. Schon am 13. Oktober 1989 hatte die „Bild“-Zeitung auf Seite 1 gemeldet: „Honecker – Mittwoch letzter Arbeitstag“. Mittwoch war der 18. Oktober. Die Exklusivmeldung, so deutet das Blatt an, sollte aus „höchstrangigen SED-Kreisen in Ost-Berlin“ kommen. Die Quelle war offensichtlich besser als die des BND.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema