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Geschichte Deutsch-Ostafrika

Ein Privatmann erwarb die größte deutsche Kolonie

Auf eigene Faust machte Carl Peters 1885 das heutige Tansania und Ruanda zu deutschem Besitz. Trotz großer Opfer in Aufständen kämpften viele Afrikaner im Ersten Weltkrieg auf der Seite des Kaisers.

Als im Januar 1919 die Welt neu geordnet wird, überrascht im Versailler Vertrag eine bizarre Klausel: „Der Schädel des Sultans Mkwawa, der aus Deutsch-Ostafrika weggenommen und nach Deutschland gebracht wurde, wird der britischen Regierung übergeben“, heißt es in Artikel 246. Der stolze Häuptling aus dem heutigen Tansania hatte den deutschen Kolonialherren mit seiner Guerillataktik lange Widerstand geleistet und der Kaiserlichen Schutztruppe im August 1891 eine empfindliche Niederlage beigebracht: Als 2000 Wahehe-Krieger unter Anführung Mkwawas aus dem Gebüsch stürmten, löschten sie eine ganze Militäreinheit aus. Zeitungen in der Heimat erbosten sich über die „Hiobsbotschaft aus Ostafrika“.

Aber der helle Stern des Stammesfürsten geht in den Folgejahren langsam unter. Krank, verfolgt und verlassen bereitet Mkwawa seinem Leben 1898 per Kopfschuss ein Ende. Als kurz darauf der Feldwebel Johann Merkl die Leiche findet, trennt er den Schädel ab – als Beweis, dass der aufsässige Wahehe-Kämpfer tatsächlich tot ist. „Endlich! Endlich!“, begeistert sich darauf Magdalene von Prince, die Ehefrau von Merkls Vorgesetztem, in ihrem Tagebuch. „Aus vollem dankbaren Herzen möchte ich es hinausjubeln in alle Welt, die Freudenbotschaft: Mkwawa ist tot!“

Der Schädel wird nach Deutschland gebracht – und verschwindet. Erst 1953 macht sich der damalige Gouverneur von Tanganjika, Sir Edward Twining, in Archiven und Museen auf die Suche nach menschlichen Überresten aus Ostafrika, die ein Schussloch aufweisen. Im Bremer Überlandmuseum wird er fündig. Mkwawa kehrt nach über einem halben Jahrhundert heim.

„Noch für die heutige Generation ist Mkwawa ein furchtloser Held, der bis zu seinem Tod die Kolonialverwaltung bekämpfte“, sagt die Historikerin Flower Menase vom Nationalmuseum in Daressalam. „Im Geschichtsunterricht wird er als starker Führer porträtiert, der über ausgeklügelte Kampftechniken, eine starke Armee und Waffen verfügte und sich den deutschen Herrschern nicht beugen wollte.“

Denkmäler an der Kaiserallee

Die aber bleiben noch weitere 20 Jahre im Land und ziehen erst nach der Kapitulation von Paul von Lettow-Vorbeck am 25. November 1918 aus Ostafrika ab. Der kriegserfahrene Kommandeur der deutschen Schutztruppe hatte im Busch als einer der Letzten von der Niederlage des Deutschen Reiches erfahren. Aber was ist geblieben von drei Jahrzehnten deutscher Kolonialzeit? „Gutes und Schlechtes“, bringt es Amandus Kwekason, der seit 22 Jahren am Nationalmuseum als Hauptkurator tätig ist, auf den Punkt.

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Noch heute in Betrieb sind die Gleise der Bahnstrecken „Central Line“ von Dar nach Kigoma am Lake Tanganjika und „Tanga Line“ im Norden von Tanga nach Arusha – auch wenn sie vielerorts wegen ihres hohen Alters schwächeln. „Die Deutschen haben Krankenhäuser gebaut, die Infrastruktur im Allgemeinen entwickelt, ein Bildungssystem eingerichtet und die Landwirtschaft angekurbelt, unter anderem durch die Einführung von Sisal, Baumwolle und Tabak“, erklärt Kwekason.

Gleichzeitig errichteten sie prächtige Kolonialgebäude etwa auf der damaligen „Kaiserallee“ in Daressalam, die teilweise auch heute noch dort stehen. „Von den derzeit 25 denkmalgeschützten Gebäuden der Stadt sind die meisten aus der deutschen Zeit“, sagt die Architektin Annika Seifert von der TU Berlin, die seit vier Jahren in Tansania lebt und den Schutz historischer Strukturen vorantreibt. „Aber es ist schon heikel, sich hier als Deutsche für den Erhalt von deutschen Kolonialgebäuden einzusetzen. Ich tue das als Architektin, weil es die ältesten Gebäude in der Region sind – und interessiere mich natürlich auch für jede andere historische Stadtsubstanz.“

Nicht nur Steine, sondern auch menschliche Überreste blieben unter der afrikanischen Erde zurück: Zahlreiche Soldatengräber sowie ein angrenzender Zivilfriedhof etwas außerhalb des Stadtzentrums erinnern an all die Sergeants, Feldwebel, Zolldirektoren, Regierungsräte und Bahnmeister, die hier „fern von der Heimat“ ruhen, wie es auf manchen Gedenktafeln heißt.

Die „Graf Goetzen“ von der Meyer-Werft

Auch ein Schiff ist noch da: Die „Graf Goetzen“, die heute unter dem Namen Liemba über den Tanganjikasee bis nach Sambia schippert. Über die turbulente Geschichte des 67 Meter langen Dampfers aus der Meyer-Werft sind schon mehrere Bücher veröffentlicht worden. Paul von Lettow-Vorbeck hatte die „Graf Goetzen“ zunächst für Truppentransporte und Versorgungsfahrten benutzt. Nachdem sie im Juni 1916 von belgischen Wasserflugzeugen bombardiert wurde, befahl der General, sie zu versenken – dick mit Fett gegen Rost eingeschmiert, um sie später wieder heben zu können. Nach dem Ersten Weltkrieg setzten die Briten das Schiff instand und tauften es auf seinen neuen Namen.

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Bei Gesprächen mit Tansaniern wird aber klar, dass den Deutschen vor allem die Einführung einer Landessprache hoch angerechnet wird. Vorher verständigten sich die weit über 100 verschiedenen Ethnien in fast ebenso vielen Sprachen. Da die Deutschen Kisuaheli konsequent als Verwaltungs- und Amtssprache auch in den staatlichen Schulen verwendeten, setzte es sich schließlich durch.

Und ist auch etwas von der Sprache der Kolonialmacht geblieben? „Ich weiß von zwei deutschen Worten, die wir regelmäßig benutzen“, sagt Kwekason. „Das eine ist ‚Shule‘ (ohne c). Das andere ist das Schimpfwort ‚Schwein‘, obwohl die meisten Tansanier nicht wissen, was es eigentlich bedeutet.“

Vermutlich betitelten die Deutschen ihre afrikanischen Zwangsarbeiter so. „Auch heute noch werden Deutsche in Tansania zwar als sehr effizient, aber auch als hart und teilweise rassistisch betrachtet“, betont der Historiker.

„Um die Kanaillen einzuschüchtern“

Kein Wunder, denn die deutsche Kolonialgeschichte in Ostafrika war zwar kurz, aber ungemein brutal. An unrühmlichen Episoden mangelt es zu keiner Zeit. Schon der Anfang war grotesk: Die Gründung der Kronkolonie geht auf einen Privatmann zurück, der weder im Auftrag von Reichskanzler Otto von Bismarck noch Kaiser Wilhelms II. unterwegs war. Der Historiker Carl Peters agierte auf eigene Faust, träumte er doch wild entschlossen von einem deutschen Kolonialreich auf dem Schwarzen Kontinent – und einer daraus resultierenden „entschlossenen Bereicherung des eigenen Volkes“ auf Kosten der „schwächeren, geringeren“ Afrikaner.

Also suchte er Häuptlinge auf, ließ bei der Ankunft zunächst Schüsse abfeuern, „um die Kanaillen einzuschüchtern“, packte flaschenweise Alkohol aus und legte ihnen anschließend auf Deutsch verfasste Schriftstücke vor, in denen sie als Gegenleistung für den „Schutz vor Feinden“ den Verzicht auf ganze Gebiete erklärten. Peters hochprozentige Überredungskunst wirkte. Die meisten setzten freiwillig drei Kreuze unter die Verträge, obwohl sie keine Ahnung hatten, worum es überhaupt ging. Eher zögerlichen Stammesfürsten half der Deutsche mit Waffengewalt auf die Sprünge.

„Die Geschichte Tansanias ist unvollständig ohne den Namen Carl Peters“, erklärt Historikerin Flower Menase. „Er bestach Häuptlinge, damit sie seine betrügerischen Verträge unterzeichneten – so wird es an den Schulen gelehrt.“ Dabei hätten diese gedacht, den weißen Mann als Freund gewonnen zu haben. „Peters hat das Vertrauen und die Loyalität der Menschen missbraucht“, beklagt die Expertin.

Auch in Deutschland war der schmächtige Mann mit dem Schnauzbart unbeliebt. Nicht zuletzt bei Bismarck, der die „Schutzbriefe“, die Peters ihm stolz vorlegte, als „ein Stück Papier mit Neger-Kreuzen drunter“ abtat. Erst als Peters drohte, König Leopold von Belgien die Gebiete anzutragen, lenkte der Reichskanzler ein.

Wunderwasser gegen Kugeln

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Damit hatte der spätere Reichskommissar Peters die nötige Unterstützung, um mit seiner Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft (DOAG) die Kolonialgebiete weiter auszudehnen – und die Bewohner willkürlich auszubeuten. Am Ende umfasst das von Deutschland kontrollierte Gebiet nicht nur Tanganjika, sondern auch das heutige Burundi, Ruanda sowie einen Teil Mosambiks.

Peters ging in Ostafrika so kaltblütig und sadistisch gegen die Bevölkerung vor, dass es zu einem Aufstand kam, der ihn 1897 sein Amt kosten sollte. Was war passiert? Aus Eifersucht, weil seine schöne afrikanische Konkubine Jagodia ein Verhältnis mit einem seiner Diener hatte, ließ er beide öffentlich aufhängen und ihre Heimatdörfer dem Erdboden gleichmachen. „Hänge-Peters“ wurde der Pfarrerssohn daraufhin in Deutschland abschätzig genannt.

Das sozialdemokratische Blatt „Vorwärts“ beschrieb ihn als „grimmigen Arier, der alle Juden vertilgen will und in Ermangelung von Juden drüben in Afrika Neger totschießt wie Spatzen und zum Vergnügen Negermädchen aufhängt, nachdem sie seinen Lüsten gedient“ haben. Eine klare Linie zum Zweiten Weltkrieg war vorgezeichnet. Kein Wunder, dass Adolf Hitler den 20 Jahre zuvor gestorbenen Peters 1937 rehabilitieren ließ. Er habe den „Gedankengängen des Dritten Reiches bereits vor 50 Jahren“ nahegestanden, lobte er.

Einen weiteren Höhepunkt deutscher Unterdrückung erlebt die Kolonie zwischen 1905 und 1907, als der Widerstand gegen die Fremdbeherrschung eskaliert. Ein Dutzend zuvor zerstrittener Stämme tut sich zusammen, um gegen die Zwangsarbeit auf den Feldern, die schmerzhaften Hiebe mit Peitschen aus Nilpferdleder und die steigenden Steuern zu rebellieren. Es kommt zum berühmten Maji-Maji-Aufstand (Kisuahelisch für „Wasser“): Mit ihren Macheten können die Aufständischen wenig gegen die Maschinengewehre der Deutschen ausrichten. Also trinken sie ein von Zauberern zubereitetes Wunderwasser, das sie gegen die Kugeln schützen soll.

Ganze Dörfer wurden verbrannt

Aber das Wässerchen verfehlt seine Wirkung, und mehrere Tausend Afrikaner kommen bei den folgenden Gefechten ums Leben. Jedoch sind die langfristigen Folgen noch viel schlimmer, entscheiden sich die Kolonialherren doch für eine „Politik der verbrannten Erde“. „Sie ließen ganze Dörfer und die Felder abbrennen, beschlagnahmten das Vieh und sorgten so für eine unmenschliche Hungersnot“, erklärt Kurator Kwekason. Historikern zufolge starben 150.000 Menschen.

Aber trotz aller Härte und Grausamkeit hielten viele in der Kolonie während des Ersten Weltkriegs zu den Deutschen. Warum? Kwekason erläutert: „Wir haben ein Sprichwort in Kisuaheli: „Zimwi liku jualo halikuli likakwishe“. Das bedeutet soviel wie „Der Teufel, den du kennst, ist besser als ein neuer Teufel, den du nicht einschätzen kannst.“ Da die Menschen nicht wussten, was von den Briten zu halten war, stellten sie sich auf die Seite der Deutschen.

„Die Deutschen haben der Region viel Übel gebracht, aber sie haben auch Gutes hinterlassen“, meint der Paläontologe Pastory Magayane Bushozi (42), der im Rahmen einer „Postdoc-Fellowship“ der Volkswagen-Stiftung die Ursprünge der Menschheit in seinem Heimatland erforscht. Sein Urgroßvater kämpfte während des Ersten Weltkriegs an der Seite der Deutschen.

„Die Deutschen hatten in unserer Heimatregion Bukoba an der Grenze zu Uganda viel investiert, den Menschen Schulen gebaut und Jobs geschaffen. Dafür waren sie dankbar“, erläutert Bushozi. „Mein Großvater hat mir immer wieder eingebläut, ich solle so stark wie die Deutschen“ werden, erinnert sich der Forscher, der schon mehrmals in die Bundesrepublik gereist ist. „Ich mag die Deutschen und bin beeindruckt, wie sie heute leben.“ Er sei froh, dass das Land viele Projekte in Tansania unterstütze, darunter auch an den Universitäten, meint er und sagt lächelnd: „Aber dieses Mal kommen die Deutschen als Freunde – nicht als Kolonialmacht.“

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