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Geschichte Kalter Krieg

Nato sah Nuklearangriff als Option in Berlin-Krise

Die kürzlich freigegebenen „Bercon“-Pläne zeigen, dass die West-Allianz vielfältige Möglichkeiten erwog, gegen sowjetische Aggressionen in Berlin vorzugehen. Darunter auch ein Angriff mit Kernwaffen.
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Um die US-Truppen in West-Berlin zu verstärken, schickt US-Präsident John F. Kennedy am 20. August 1961 das 8. Infanterieregiment über die Autobahn in die geteilte Stadt. Am Grenzübergang in die DDR kommt es zu Stockungen Um die US-Truppen in West-Berlin zu verstärken, schickt US-Präsident John F. Kennedy am 20. August 1961 das 8. Infanterieregiment über die Autobahn in die geteilte Stadt. Am Grenzübergang in die DDR kommt es zu Stockungen
Um die US-Truppen in West-Berlin zu verstärken, schickt US-Präsident John F. Kennedy am 20. August 1961 das 8. Infanterieregiment über die Autobahn in die geteilte Stadt. Am Grenzü...bergang in die DDR kommt es zu Stockungen
Quelle: picture-alliance / Uwe Marek

Pläne schmieden ist die vornehmste Aufgabe aller Generalstabsoffiziere. Möglichst für jede denkbare Krisensituation müssen Vorgesetzte bis hinauf zu Regierungs- und sogar Staatschefs mit abgewogenen Handlungsalternativen versorgt werden. Das gilt besonders, wenn schon durch kleine Fehlentscheidungen eine verhängnisvolle Eskalation in Gang gesetzt werden kann. Wie im Kalten Krieg.

Im aktuellen Heft der Zeitschrift „Militärgeschichte“ weist der Historiker Klaus Storkmann auf gerade freigegebene Nato-Dokumente aus dem Jahr 1962 hin, die genau diesen Mechanismus illustrieren. Es handelt sich um ein rundes Dutzend unterschiedlicher Pläne für die Reaktion im Falle einer weiteren Berlin-Krise.

Mitte August 1961 waren der Westen und speziell die US Army überraschend von der Abriegelung der innerstädtischen Sektorengrenze getroffen worden. Nach mehreren Tagen des Abwartens setzte Präsident John F. Kennedy ein Regiment der 8. US-Infanteriedivision in Bewegung nach West-Berlin, um Entschlossenheit zu demonstrieren. Vorbereitet aber war für einen solchen Fall nichts; es musste improvisiert werden.

Reaktion auf Provokationen

Noch einmal wollte das Oberkommando der Nato-Streitkräfte in Europa nicht derartig unvorbereitet von einer denkbaren Zuspitzung der Situation in der geteilten Stadt überrumpelt werden. Also wurde eine Serie von „Berlin Contingency Plans“ ausgearbeitet, die mögliche militärische Reaktionen auf Provokationen seitens der Sowjets oder der SED aufgliederte.

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Insgesamt lagen bis März 1962 vier Kategorien solcher „Bercon“-Pläne vor: Vorschläge mit dem Zusatz „Alpha“ behandelten Reaktionen mithilfe von Luftstreitkräften, bei „Charlie“ ging es um den Einsatz von Bodentruppen, bei „Delta“ um relativ sinnlose Überlegungen, Kriegsschiffe einzusetzen. Die radikalste, aber auch kürzeste Planung hatte den Zusatz „Bravo“ und behandelte eine eventuelle „nukleare Demonstration“. Die Gedanken sind frei, auch und gerade in Generalstäben.

Die kürzlich deklassifizierten, zuvor in der höchsten Geheimhaltungsstufe „Cosmic Top secret“ eingeordneten Unterlagen zeigen, dass die Nato-Planer von der Möglichkeit einer erneuten Blockade der Zugangswege nach West-Berlin ausgingen. Für diesen Fall sahen sie verschiedene Reaktionsmöglichkeiten vor.

Jäger als Eskorte

So könnte nach dem Plan „Bercon Alpha one“ eine Eskorte alliierter Transportflugzeuge durch Kampfmaschinen umgesetzt werden. Die Begleitjäger werden alle kommunistischen Flugzeuge angreifen, die alliierte Transporter attackieren“, heißt es in der Zusammenfassung des Plans: „Diese Jäger werden ebenfalls mit konventionellen Waffen jede kommunistische Flugabwehrraketenstellung zerstören, von der anzunehmen ist, dass sie diese Transportmaschinen angreifen könnten.“

Im Jahr 1962 wäre allerdings eine Luftbrücke zur Versorgung West-Berlins wie 1948/49 kaum mehr denkbar gewesen – dafür gab es nicht genügend bereitstehende Flugzeuge und Piloten, was kurz nach dem Zweiten Weltkrieg noch anders gewesen war. Es hätte sich also um eine politische Demonstration mit militärischen Mitteln gehandelt.

Eine andere Option war es, Bodentruppen einzusetzen. Nach „Bercon Charlie one“ hätte eine gepanzerte Division entlang der Autobahn Helmstedt–Berlin in die DDR vorstoßen sollen. Um die Lage nicht zusätzlich zu belasten, schlugen die Planer vor, westdeutsche Truppen und Kommandobehörden bei dieser Möglichkeit nicht einzubeziehen – als rein amerikanische Operation hätte es sich um eine nach dem Recht der Siegermächte sicher grenzwertige, aber nicht völlig illegitime Aktion gehandelt.

Einsatz von Bodentruppen

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„Bercon Charlie two“ sah den Vorstoß von zwei US-Divisionen entlang der Autobahn Herleshausen–Eisenach–Berlin vor. Ziel wäre es, einen Brückenkopf zwischen Bad Salzungen und Lengenfeld zu besetzen.

Die dritte Variante, für die vier Divisionen vorgesehen waren, sollte das Ende des Mittellandkanals an der Elbe zum Ziel haben. Ebenfalls ein komplettes Armeekorps war für die letzte Variante vorgesehen, die Besetzung der Höhenzüge des Thüringer Waldes.

Eine Seeblockade der Sowjetunion war unter dem Decknamen „Bercon Delta“ geplant, doch besonders aussichtsreich schien sie den Planern im Falle einer erneuten Berlin-Krise nicht. Anders als ein gutes halbes Jahr später in der Kubakrise, als der unkontrollierte Schiffsverkehr zu der kommunistisch beherrschten Karibikinsel von US-Kriegsschiffen unterbunden wurde, was sich als gutes Druckmittel herausstellte.

Beinahe etwas widerwillig scheinen die Abschnitte zur „nuklearen Demonstration“ geschrieben worden zu sein. Da ist die Rede von einer Kernwaffenexplosion über einem „Nicht-Ziel“, die „keinen Schaden“ hervorrufen sollte, möglichst in der Nähe eines militärischen Stützpunktes. Noch weiter ging eine zweite Variante, ein luftgestützter Nuklearwaffenangriff auf ein rein militärisches Ziel „abseits von Bevölkerungszentren“.

Wenig realistisch

Zu den Plänen zählte, dass mögliche Folgen und Gegenreaktionen ebenfalls erwogen und beschrieben wurden. „Ein besonderes Risiko liegt in der Möglichkeit, dass als Antwort auf jede Nato-Maßnahme zu Lande, zu Wasser oder aus der Luft sowjetische Streitkräfte West-Berlin besetzen könnten“, heißt es in den Dokumenten gleich mehrfach. Auch sonst sahen die Generalstäbler wenig Sinn in den Maßnahmen, die aller Wahrscheinlichkeit nach zu einer Verschärfung führen würden. Im Grunde riet die Ausarbeitung von allen militärischen Maßnahmen im Falle einer erneuten Zuspitzung der Berlin-Krise ab.

„Die ,Bercon‘-Operationen waren, nüchtern betrachtet, in der Tat wenig realistisch und trugen unweigerlich die Eskalation zu einem ,großen Krieg‘ in sich“, urteilt der Militärhistoriker Storkmann zutreffend: „Es ist daher wahrscheinlich, dass diese Pläne eher als politisches Druckmittel gegenüber dem Ostblock gedacht waren.“ Denn es sei anzunehmen gewesen, dass die Sowjetunion von diesen Planungen über Spione etwas mitbekommen hätte. Damit „wäre deren Aktivierung ein Zeichen der Entschlossenheit der Nato und das ultimative politische Signal gewesen“.

Denn an einem Nuklearkrieg in Mitteleuropa hatte die Nato noch viel weniger ein Interesse als der Warschauer Pakt. Auch wenn die jahrzehntelange hysterische Propaganda der SED über den angeblich geplanten „begrenzten Atomschlag“ des Westens bei vielen Deutschen bis heute nachwirkt.

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