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Geschichte Krim-Krise

Was an Schäubles Putin-Hitler-Vergleich stimmt

Der Bundesfinanzminister hat vorsichtig Parallelen zwischen dem „lupenreinen Demokraten“ im Kreml und Hitler gezogen. Empörung von Putin-Verstehern ist ihm sicher – dabei liegt er gar nicht so falsch.
Leitender Redakteur Geschichte
Bilder, die den Vergleich provozieren: Im Oktober 1938 marschierte die Wehrmacht in das Sudetenland ein. Im März 2014 rollten russische Panzer auf der Krim Bilder, die den Vergleich provozieren: Im Oktober 1938 marschierte die Wehrmacht in das Sudetenland ein. Im März 2014 rollten russische Panzer auf der Krim
Bilder, die den Vergleich provozieren: Im Oktober 1938 marschierte die Wehrmacht in das Sudetenland ein. Im März 2014 rollten russische Panzer auf der Krim
Quelle: AFP/pa/AKG

Der Satz ist gefährlich in Deutschland: „Das kennen wir alles aus der Geschichte.“ Denn fast immer folgt darauf ein Vergleich mit dem Nationalsozialismus. Und ebenso zwangsläufig ist die Reaktion: Was auch immer gemeint sei – auf keinen Fall könne man es mit Hitler vergleichen.

Wolfgang Schäuble, seit vergangenem Freitag der dienstälteste Bundestagsabgeordnete aller Zeiten, kennt die Reflexe der deutschen Öffentlichkeit wie vermutlich kein anderer aktiver Politiker. Doch sie scheren ihn selten. Darauf deuten jedenfalls Schäubles Äußerungen bei einer Veranstaltung mit Berliner Schülern hin.

Der Bundesfinanzminister, eines der wichtigsten Mitglieder im dritten Kabinett Merkel, versuchte, Jugendlichen die Krim-Krise zu erklären. Er beschrieb, wie die Ukraine endgültig unter die Herrschaft des vermeintlich „lupenreinen Demokraten“ Wladimir Putin fallen könnte.

Wenn die Regierung in Kiew die Polizei nicht mehr bezahlen könne, weil sie pleite sei, dann könnte Anarchie entstehen – und dann könnten die ethnischen Russen, die vor allem im Osten einen nennenswerten Anteil der Bevölkerung ausmachen, den „großen Bruder“ Russland um Hilfe bitten. Um Völkerrecht pflegen sich autoritäre Herrscher wie Putin nur dann zu scheren, wenn es ihnen nützt.

Claudia Roths aufgeregtes Statement

An diese durchaus sachliche Beschreibung der Lage fügte der CDU-Politiker dann den entscheidenden Gedanken an, den über die Geschichte. Und er fuhr fort: „Solche Methoden hat schon der Hitler im Sudetenland übernommen.“

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Die Reaktion war zwangsläufig. Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth, immer für ein aufgeregtes Statement gut, lieferte nach Schema. Der „Welt“ sagte die langjährige Vorsitzende der Grünen: „Gleichsetzungen oder Vergleiche mit Hitler und seinen Taten“ relativierten „die an sich unvergleichbaren Verbrechen, für die Nazideutschland verantwortlich ist“. Deshalb verbiete sich jede derartige Argumentation.

Warum eigentlich? Seit dem Historikerstreit 1986/87 gilt das vermeintliche Gebot der Singularität des Holocausts. Intellektuell ist es jedoch äußerst bescheiden. Das liegt schon an der schieren Banalität, dass ohne Vergleich weder Ähnlichkeiten noch Unterschiede festgestellt werden können.

Natürlich haben die Massenmorde von Mao und Stalin bedeutend mehr Menschen das Leben gekostet als der industrialisierte Völkermord an Europas Juden durch die Nazis. Und selbst wenn man den mutwillig von Hitler vom Zaune gebrochenen Zweiten Weltkrieg einbezieht, liegen die drei Schlächter des 20. Jahrhunderts von den Opferzahlen ungefähr gleichauf.

Vorgeschichte der Sudetenkrise

Am Schrecken des Holocausts relativiert der Vergleich mit anderen Jahrhundertverbrechen überhaupt nichts. Tatsächlich unzulässig ist allerdings die verharmlosende Gleichsetzung, wenn etwa radikale Tierschützer Plakate verbreiten, auf denen Häftlinge in Auschwitz-Birkenau neben Hühnern in Legebatterien abgebildet sind. Oder vom „Holocaust auf Ihrem Teller“ sprechen.

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Doch nicht nur das Vergleichsverbot ist Unsinn. Zudem liegt Wolfgang Schäuble auch inhaltlich durchaus richtig. Dazu muss man sich allerdings die Mühe machen, die Vorgeschichte der Sudetenkrise zu betrachten.

Die Grenzgebiete der historischen Landschaften Böhmen und Mähren hin zu Schlesien, Sachsen, Bayern und Niederösterreich waren im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts traditionell stark deutsch geprägt. Eine Folge der jahrhundertelangen Zugehörigkeit zu übernationalen Staatssystemen wie dem heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (bis 1806) und der habsburgisch geprägten Donaumonarchie (bis 1918).

Die Grenzziehung nach den Pariser Friedensverträgen von 1919 hatte wie in vielen anderen Gebieten Mitteleuropas und Osteuropas den Verflechtungen ethnisch und kulturell unterschiedlicher Volksgruppen zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Dadurch entstanden an den Grenzen der nun Ostmitteleuropa dominierenden Nationalstaaten neue Konflikte.

Konrad Henlein schürte die Konflikte

In Böhmen und Mähren war fast jeder dritte Einwohner kulturell deutsch geprägt. Doch statt hier einen Ausgleich etwa durch Anerkennung gegenseitiger Minderheitenrechte anzustreben, schürte die Friedensordnung von Versailles und Saint-Germain neue Konflikte.

In den Randgebieten der westlichen Tschechoslowakei, jetzt allgemein Sudetenland genannt, nahmen die Spannungen am stärksten zu. Es gab Streit um die Amtssprache, um die Schulhoheit, um Beschränkung von Minderheitenrechten.

Wesentlich beteiligt daran war die „Sudetendeutsche Heimatfront“, eigentlich eine Splittergruppe, die aber bei den Parlamentswahlen 1935 zwei Drittel aller kulturell deutschen Bürger der damaligen Tschechoslowakei gewinnen konnte. Sie wurde von dem Turnlehrer Konrad Henlein angeführt, einem Deutschnationalen.

Seit 1935/36 massiv von Hitlers NSDAP unterstützt und in „Sudetendeutsche Partei“ umbenannt, unterminierte Henleins Organisation die Zugehörigkeit des Sudetenlandes zur Tschechoslowakei. Die Nationalitätenkonflikte, die ohnehin schon belastend genug waren, wurden geradezu befeuert. Ziel war es, eine Situation herbeizuführen, in der das Dritte Reich den „Schutz“ der Sudetendeutschen übernehmen könnte.

Gegen die Ordnung von Versailles

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Hitler plante spätestens seit 1937 einen Krieg gegen die Tschechoslowakei. Dabei ging es ihm eher am Rande um die etwa drei Millionen Sudetendeutschen und die von ihnen bewohnten Gebiete. Viel wichtiger war es, mit dem neu geschaffenen Staat die Nachkriegsordnung zu zertrümmern.

Henleins „Sudetendeutsche Partei“ erfand oder inszenierte reihenweise Auseinandersetzungen, die einen Anlass für das Eingreifen des Dritten Reiches boten. Doch Europas schwache Vormächte Großbritannien und Frankreich kamen Hitler im Münchner Abkommen Ende September 1938 soweit entgegen, dass der Grund für den geplanten Krieg entfiel – allerdings auf Kosten eines Dritten, nämlich der Tschechoslowakei: Das Sudetenland ging an Deutschland, der Regierung in Prag war das Rückgrat gebrochen.

Der deutsche Diktator tobte, er fühlte sich um den Sieg betrogen. Wenige Monate später holte er sich, was er eigentlich gewollt hatte: ganz Böhmen und Mähren. Am 15. März 1939 marschierte die Wehrmacht vom Sudetenland aus in der hämisch „Rest-Tschechei“ genannten überwiegend tschechisch geprägten Region in der weiteren Umgebung Prags ein; die Slowakei erklärte sich mit Unterstützung aus Berlin für unabhängig.

Großbritannien kam der Regierung in Prag nicht zur Hilfe, garantierte aber die Integrität Polens. Hitler nahm das nicht ernst und griff am 1. September 1939 Polen militärisch an, woraufhin die Regierungen in London und Paris den Krieg erklärten: Der Zweite Weltkrieg hatte begonnen.

Ähnlichkeiten sind nicht zu übersehen

Geschichte wiederholt sich nie exakt. Aber bestimmte politische Mechanismen sind ähnlich. Hier liegt ein Vergleich nahe. Die selbst ernannte Krim-Regierung unter Präsident Sergej Walerjewitsch Aksjonow folgt nicht exakt dem Beispiel von Konrad Henlein, doch Ähnlichkeiten sind nicht zu übersehen.

Das scheindemokratische Referendum auf der Krim erinnert fatal an die Volksabstimmung, die Hitler im April 1938 in Österreich inszenieren ließ. Die russischen Drohgebärden an der Grenze zur Ostukraine unterscheiden sich nicht wesentlich vom Verhalten der Wehrmacht im besetzten Sudetenland Ende 1938 und Anfang 1939.

Die Folgen von Wladimir Putins völkerrechtswidriger Politik müssen nicht die gleichen sein wie nach der Sudetenkrise. Doch die Ingredienzien sind ähnlich. Darauf hingewiesen zu haben ist Wolfgang Schäubles Verdienst – aller Relativierungspolemik zum Trotz.

Münchner Abkommen in Hitlers Führerbau

Im Münchner Abkommen 1938 kommt England Nazi-Deutschland ein letztes Mal entgegen. Daraufhin fühlt sich Adolf Hitler bestärkt. Es scheint nicht mehr möglich, den Zweiten Weltkrieg abzuwenden.

Quelle: STUDIO_HH

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