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Geschichte „Schweigelager“

Das Rätsel der Scherben im Lager Buchenwald

In den Speziallagern des sowjetischen Geheimdienstes in der späteren DDR starben Zehntausende. Dort kamen auch merkwürdige Keramikfragmente ans Licht. Eine Ausstellung in Weimar lüftet ihr Geheimnis.
Leitender Redakteur Geschichte

Scherben sind wichtige archäologische Zeugnisse. Sie dokumentieren Handelsverbindungen und ermöglichen Datierungen und Schlüsse auf Lebensgewohnheiten. Für Epochen von der Antike bis zur an den Rand der Neuzeit zählt zerbrochene Keramik zu den meist unspektakulären, aber besonders aussagekräftigen Funden.

Doch auch Zeitgeschichte kann sich in Scherben spiegeln. Das zeigt jetzt das Stadtmuseum Weimar mit der neuen Sonderausstellung „An Gefäßen für das Essen gab es nichts“.

Seit den frühen 1990er-Jahren gab es archäologische Untersuchungen auf dem Gelände der Gedenkstätte Buchenwald in Thüringen. Sie galten sowohl der Vergangenheit des Ortes als nationalsozialistischem Konzentrationslager wie auch der anschließenden Nutzung als sowjetisches Speziallager – eine Phase, die zu DDR-Zeiten konsequent verschwiegen und verheimlicht worden war.

Keramik in Serie

Unter den etwa zehntausend Spuren und Überreste befanden sich auch Keramikgefäße, die sich nicht zuordnen ließen – teilweise intakt, teilweise beschädigt oder zerstört. Den Formen nach waren sie in Serie hergestellt worden. Rätselhaft aber blieb zunächst, von wem, wann genau und wozu.

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Als 2007 auf dem Gelände des ehemaligen sowjetischen Speziallagers bei Mühlberg/Elbe ähnliche Keramikscherben entdeckt wurden und Spuren einer früheren Töpferei, wurde das Rätsel nicht kleiner: Wieso bestand gerade in diesem Lager eine Töpferei? Wer stellte hier die Gefäße her und für wen? Und warum fanden sich Scherben in Buchenwald?

Das Speziallager Mühlberg wurde im September 1945 in einem früheren Kriegsgefangenenlager der Wehrmacht eingerichtet. Seit April 1945 hatte der sowjetische Militärgeheimdienst die 91 Holzbaracken bereits als Zwischenlager für sowjetische Staatsbürger genutzt, die nach Deutschland deportiert worden waren, als zivile Zwangsarbeiter der als Kriegsgefangene. da Stalin sie pauschal für „Vaterlandsverräter“ hielt, führte der Weg über Mühlberg für viele von ihnen direkt in den Archipel Gulag, das stalinistische Lagersystem.

Willkürlich verhaftet

Nach Abschluss dieser Rückführung übernahm der Geheimdienst NKWD das Lager, das primitiv eingerichtet und in miserablem Zustand war. Nun wurden hier Deutsche festgesetzt. Darunter waren NS-belastete und Wehrmachtsoffiziere, aber auch willkürlich Festgenommene. Oft Jugendliche, denen „Werwolf-Aktivitäten“ vorgeworfen wurden. In Wirklichkeit handelte es sich um Terrormaßnahmen der Besatzungsmacht, um potenziellen Widerstand gegen die Einrichtung einer kommunistischen Parteidiktatur nach bolschewistischem Vorbild zu unterdrücken.

Ende 1945 saßen fast 10.000 Menschen in dem Lager. Im Gegensatz zu den Internierungslagern in der US-Zone waren die Lebensbedingungen katastrophal, auch wesentlich schlechter als in den Lagern in der britischen und französischen Zone. Zunächst aber gab es wenigstens noch Arbeit für die Insassen: Sie brachten mit primitivsten Mitteln die Lagereinrichtungen auf Vordermann.

An Anfang 1946 jedoch herrschte extremer Arbeitsmangel und zudem das Verbot, sich ansonsten sinnvoll zu beschäftigen. Achim Kilian zufolge, der unter fadenscheinigen Vorwürfen rund drei Jahre in Mühlberg saß, dufte man weder lesen noch singen, auf keinen Fall schreiben oder in Gruppen diskutieren. Gottesdienste waren ebenfalls strikt untersagt. Die Verpflegung war katastrophal und bestand weitgehend aus Pülpe, also Schweinefutter. Unterverpflegung und Tuberkulose forderten Monat für Monat Hunderte Tote.

Rostige Konservendosen

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Doch es gab nicht nur furchtbares Essen – es wurde zudem in rostigen Konservendosen ausgegeben oder manchen Häftlingen in die zusammengefalteten Hände gekippt. Es gab einfach keine Gefäße. Nachdem aber in Mühlberg auf dem Lagergrund Tonvorkommen entdeckt worden waren, gab der Lagerkommandant sein Einverständnis, Näpfe für die Gefangenen herstellen zu lassen.

Gelernte Töpfer bauten innerhalb des Lagers eine Töpferei mit Brennofen auf. Die Produktionskapazitäten reichten jedoch nicht aus, um alle Häftlinge mit einem getöpferten Essgeschirr zu versorgen. Leitender Töpfer in der Mühlberger Werkstatt war Heinz Gersbeck (1912-1987), der wegen seiner Funktion als Ortskassierer der NSDAP eingesperrt war. Ihn unterstützten die Brüder Arthur und Arno Kaulfuß und Ernst Alisch. Von ihnen überlebte nur Arno Kaulfuß das Lager.

Er wurde auch 1948 bei der Auflösung des Lagers Mühlberg mit mehr als weiteren 3500 Häftlingen nach Buchenwald überstellt. Hier wurden die ankommenden Häftlinge vom sowjetischen Wachpersonal gefilzt. Da Buchenwald über Essgeschirr verfügte, wurden die Tongefäße auf einer Müllhalde entsorgt. Dort fand man sie ab den 1990er-Jahren. Jetzt ist das Rätsel der Scherben von Buchenwald gelüftet.

Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald mit den Stadtmuseen Weimar und der Initiativgruppe Lager Mühlberg. Sie ist bis zum 9. März zu sehen; danach geht sie nach Bautzen.

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