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Geschichte Seekriege

Nur wer die See beherrscht, wird eine Weltmacht

Imperien werden auf dem Meer gegründet: Diese These gilt auch ein Zeiten der Globalisierung. Zwei Historiker liefern zwölf Beispiele, wie Seeschlachten die Geschichte veränderten.
Freier Autor Geschichte

Das Jahr 1890 markiert einen wichtigen Einschnitt in der Geschichte des deutschen Nationalstaates. Gerade zwei Jahre an der Macht, entließ Kaiser Wilhelm II. den Reichskanzler und preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck. Und in Boston veröffentlichte der amerikanische Seeoffizier Alfred Thayer Mahan ein Buch mit dem Titel „Der Einfluss der Seemacht auf die Geschichte“. Beide Daten sollten zu Wegemarken zum Ersten Weltkrieg werden.

„Ich verschlinge gerade Captain Mahans Buch und versuche es auswendig zu lernen“, bekannte Wilhelm II., „das Buch ist ganz ausgezeichnet und in jeder Hinsicht klassisch. Es befindet sich an Bord aller meiner Schiffe, und Kapitäne und Offiziere zitieren es dauernd.“ Das waren zu der Zeit, 1894, noch nicht sehr viele. Aber das sollte sich bald ändern. Mit Mahans Buch in der Hand legte des Kaisers Admiral Alfred Tirpitz eine riesige Schlachtflotte auf Kiel – mit dramatischen Folgen.

Die deutsche Hochseeflotte zermürbte die Finanzen des Kaiserreichs, provozierte sein imperialistisches Ausgreifen in Übersee, befeuerte im Inneren Kriegsbegeisterung und Selbstüberschätzung, trieb England in das Bündnis mit Frankreich und Russland und erhöhte die deutsche Bereitschaft, die Folgen mit einem Krieg zu bereinigen. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges schlug Wilhelms Flotte zwar im Skagerrak die bis dahin größte Seeschlacht aller Zeiten, dümpelte aber ansonsten im Hafen und konnte weder die britische Blockade verhindern noch die Vernichtung der Kreuzergeschwader in Übersee. Und der uneingeschränkte U-Boot-Krieg tat ein Übriges, um die USA in den Krieg zu führen. Beim Ausbau der wilhelminischen Seemacht handelte es sich also um eine der größten Fehlinvestitionen der deutschen Geschichte.

Die „wahre Tragweite“ der Seemacht

Bezeichnenderweise war es die Selbstversenkung der internierten Hochseeflotte in dem britischen Flottenstützpunkt Scapa Flow im Jahr 1919, der die deutschen Flottenpläne ein für alle Mal begrub. Selbst Hitlers Drittes Reich beließ es bei wenigen spektakulären Überseeunternehmen mit katastrophalem Ausgang. So ist es kein Wunder, dass Seerüstung und -kriege hierzulande zu einem entlegenen Steckenpferd wurden.

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Um so erstaunlicher ist daher das Buch, das zwei ausgewiesene Historiker, Arne Karsten und Olaf B. Rader, jetzt in dem renommierten Verlag C. H. Beck vorstellen. „Große Seeschlachten. Wendepunkt der Weltgeschichte. Von Salamis bis Skagerrak“ heißt der Band, der anhand von zwölf exemplarischen Treffen die Rolle maritimer Konflikte erklären will. Dabei wird schnell deutlich, was durch die kontinentale Perspektive hierzulande verschüttet wurde: das Bewusstsein, dass sich die Bahnbrechung der Moderne maßgeblich auf See vollzog.

Karsten und Rader können dabei auf die Autorität des griechischen Historikers Thukydides verweisen: „Einen Landkrieg, durch den ein Staat zur Macht gelangt wäre, gab es nicht“, begründete er den Aufstieg der athenischen Seemacht im 5. Jahrhundert v. Chr. In diesem Sinn sollte Mahan 2500 Jahre später seine Thesen über die „Beherrschung der See“ formulieren, die ihm den Ruf eintrugen, ein „Clausewitz of the Sea“ zu sein.

Denn auch Mahan ging es weniger um Strategie und Taktik, sondern um die „wahre Tragweite“ der Seemacht. In diesem Sinne verknüpfen die Autoren technische und soziale, politische und kulturelle, wirtschaftliche und militärische Wandlungsprozesse mit geografischen Faktoren zu einer Kulturgeschichte des Meeres.

Entdecker und Verwalter

Einige Beispiele: Die Erschließung großer Silbervorkommen in Attika ermöglichte Athen Anfang des 5. Jahrhunderts v. Chr. den Bau einer Flotte. Deren Antrieb erfolgte unter den Bedingungen des Mittelmeeres mit Muskelkraft. Da die Ruderbänke von Angehörigen der niedrigsten Einkommensgruppe besetzt wurden, wuchs deren Gewicht in der Volksversammlung, was die Entwicklung der demokratischen Verfassung vorantrieb. Die derart verstärkte Polis konnte die persische Weltmacht schlagen und ein Seeimperium errichten, das weite Teile des mediterranen Handels kontrollierte.

Es war allerdings mit Rom eine Landmacht, die nach ihrem Sieg über die Seemacht Karthago für Jahrhunderte zur absoluten Weltmacht aufsteigen sollte. Nach dem Untergang ihres Westteils sicherte der Osten sein Überleben, indem er zur Seemacht mutierte. Das ermöglichten umfangreiche politische und gesellschaftliche Reformen und eine geniale technische Erfindung, das Griechische Feuer, das selbst auf dem Wasser brannte.

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In italienischen Handelsrepubliken wie Venedig und Genua führte die Konzentration auf die See zum Ausbau protoindustrieller Werftanlagen und Ausbildung moderner Finanzdienstleister. Die Entdeckungsfahrten in Übersee beförderten Innovationen im Bau von Kriegsschiffen, deren serielle Fertigung und ständiger Unterhalt die Erschließung neuer Ressourcen nötig machte.

Moderne Verwaltungen entstanden, in denen Sachverstand wichtiger war als die Herkunft. Das gleiche galt für die Offiziere der Flotten und die Techniker, die immer neue und immer bessere (und teurere) Schiffe bauten. Am besten gelang dies in Großbritannien, das sich, gestützt auf weltweiten Handel und eine ihn schützende Flotte, ein Viertel der Erde untertan machte.

„Wir müssen über die Grenzen blicken“

„Gerade deswegen entwickelten sich die Kriegsflotten zu einem Symbol nationalen Selbstbewusstseins auch für Staaten, die bisher als Seemächte keine Rolle gespielt hatten“, konstatieren Karsten und Rader, womit sich der Kreis bei Wilhelm und seiner schwimmenden Wehr schließt. Deswegen investierte das Kaiserreich gigantisches wirtschaftliches und emotionales Kapital in eine Flotte, die ihm den Untergang bescherte, weil sie gegen die britische Seemacht keine Chance hatte.

Mahan hatte sein Buch einst als Appell an seine Landsleute verstanden: „Ob die Amerikaner wollen oder nicht, nun müssen sie beginnen, über die Grenzen ihres Landes hinauszublicken“, rief er ihnen zu. Sie erhörten es und schufen sich im Pazifikkrieg – den Karsten und Rader mit ihrer Konzentration auf Europa leider aussparen – das Instrument ihrer Supermacht, deren Rückgrat Flugzeugträger, U-Boote und Luftflotten sind. Heute gehört in den Marineakademien Indiens und Chinas Mahans Buch zur Pflichtlektüre.

Es war nicht von ungefähr der Untergang eines Schlachtschiffes mit Namen „Bismarck“, der 1941 das Ende des deutschen Griffs nach der Seemacht markierte. In der Folge lieferte das Dritte Reich ein weiteres Beispiel dafür, dass zu Lande keine dauerhaften Imperien gemacht werden. Die Bundesrepublik hat diese Lektion für sich beherzigt, was aber nicht heißt, dass Mahans Vorstellungen ferne Vergangenheit sind. Ihre Aktualität in Zeiten der Globalisierung wieder gezeigt zu haben, ist nicht der kleinste Vorzug dieses Buches.

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