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Geschichte Dritte Republik

Schon einmal ruinierten Politskandale Frankreich

Affären, Reformstau, Klassenkampf: Die Dritte Republik weckt in Frankreich Albträume von einer gespaltenen Gesellschaft und korrupten Eliten. Heute sind diese Traumata wieder in aller Munde.
Freier Autor Geschichte

Alexandre Stavisky war ein Hochstapler mit vielen Talenten. Der gebürtige Ukrainer jonglierte mit Millionen, regierte ein Imperium aus Scheinfirmen, die unter anderem mit kühlmittelfreien Kühlschränken nach Afrika handelten, und hielt sich zahlreiche französische Politiker wie Marionetten. Mit ihnen gründete er in Bayonne eine Pfandleihe-Bank, deren gefälschte Anleihen Lebensversicherungen und gewerkschaftliche Pensionsfonds ruinierten. Als er schließlich 1934 verhaftet werden sollte, fand man ihn in Chamonix mit einer Schusswunde, die er sich selbst zugefügt haben soll. Geglaubt hat das niemand.

Mit Staviskys Namen ist eine der größten Affären verbunden, die die Dritte französische Republik erschütterte. Um die Korruptheit der politischen Klasse anzuprangern, machten am 6. Februar 1934 diverse extreme Gruppierungen der Rechten aber auch einige Kommunisten mobil und marschierten unter dem Motto „Nieder mit den Dieben“ durch das Pariser Zentrum. Die Polizei eröffnete das Feuer. Ein Dutzend Tote und mehr als tausend Verletzte waren das Ergebnis.

Bis heute streiten Historiker über die Deutung des 6. Februars. War es ein Putsch des französischen Faschismus mit dem Ziel der Machtübernahme? Oder war es nur ein drastisches Zeugnis für den Unmut, den die im Stakkato wechselnden Regierungen der Dritten Republik und ihre Probleme provoziert hatten?

Ein Skandal folgte auf den anderen

Gegenwärtig neigt sich die Stimmung im französischen Publikum deutlich der letzten Interpretation zu. Die fürchterlichen „années 1930“ sind wieder in aller Munde. Eine Zeit, in der ein Skandal auf den anderen folgte, Rechte und Linke einander blockierten und die Wirtschaftskrise weite Teile der Mittelschicht in den Bankrott trieb. Hinzu kam die Faszination des Bildes, das der Erbfeind im Osten bot: Unter der straffen Führung Hitlers, so das Bild, überwand Deutschland Wirtschaftskrise, parlamentarischen Dauerstreit und streifte die Fesseln ab, die ihm Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg angelegt hatte.

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Das diskreditierte die älteste demokratische Republik Europas. „Ich brauche nur um mich zu blicken“, schrieb der große französische Historiker Marc Bloch, „um mich davon zu überzeugen, dass der Parlamentarismus nur zu oft der Intrige den Vorzug gegeben hat gegenüber Intelligenz und Pflichterfüllung.“

Der Vorwurf der Inkompetenz und des Scheiterns war die Erbsünde der Dritten Republik. Das hing mit ihrer Geburt in Niederlage und Bürgerkrieg zusammen. Nach der Kapitulation Napoleons III. bei Sedan hatten radikale Demokraten wie Léon Gambetta die Republik ausgerufen. Doch auch ihre notdürftig aus dem Boden gestampften Massenheere hatten gegen die preußisch-deutsche Militärmaschinerie keine Chance. Nicht nur, dass Bismarck im Prunksaal von Versailles mit dem Deutschen Kaiserreich die neue Hegemonialmacht Europas ausrief, sondern er stellte dem geschlagenen französischen Bürgertum auch die Truppen zur Verfügung, um den Aufstand der Pariser Kommune niederzuschlagen. 25.000 Communards starben.

Republik mit einer Stimme Mehrheit

So haftete dem neuen Staatswesen stets der Ruch des Vorläufigen an. Erst 1875 kam es zur entscheidenden Abstimmung, ob Frankreich nun eine Republik oder nicht doch eine restaurierte Monarchie werden sollte. Das Ergebnis lautete 353 gegen 352. Mit nur einer Stimme Mehrheit wurde das republikanische Experiment fortgeführt.

Als Bestätigung für ihre Geburtsfehler, die letztlich in der Dauerkrise endeten, werden heute gern die Affäre um den jüdischen Hauptmann Dreyfus und der Skandal um den verschleppten Konkurs des Panamabau-Konsortiums genannt. Tatsächlich warfen beide Skandale ein grelles Licht auf die Verwerfungslinien, die die französische Gesellschaft spaltete. Dabei wird gern übersehen, dass die Dritte Republik ausgerechnet in den Jahren nach der Niederlage gegen Deutschland bemerkenswerte Leistungen vorweisen konnte.

Nicht nur, dass die Zahlung der Kriegskontribution in Höhe von fünf Milliarden Franc erstaunlich schnell gelang. Sondern auch in der Kolonialpolitik gelangen Erfolge. Die Trennung von Kirche und Staat gehört noch heute zur Grundordnung Frankreichs. Und die Entente cordiale mit Russland und England bot 1914 schließlich die Chance für die Revanche für Sedan.

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Als es zum großen Krieg kam, siegte Frankreich an der Marne, hielt vor Verdun stand und saß schließlich am Siegertisch. In Paris wurden die Friedensverhandlungen geführt, in Versailles wurden sie Deutschland diktiert. Die Dritte Republik stand im Zenit ihrer Macht. Aber von da an gelang ihr nichts mehr. Allerdings brauchten die Zeitgenossen Jahre, um das zu begreifen.

Die teuerste Festung der Welt

Das Konzept, die astronomischen Kriegsschulden mit deutschen Reparationen zu begleichen, ging nicht auf. Schon in Versailles widersetzten sich die angelsächsischen Mächte den französischen Maximalforderungen. Amerika zog sich auf sich selbst zurück. England wollte die deutsche nicht durch eine französische Hegemonie in Europa ersetzen. Zwar gelang 1923 mit der Besetzung des Ruhrgebiets noch einmal ein außenpolitischer Kraftakt. Aber ohne englische Unterstützung musste das Unternehmen schließlich abgebrochen werden.

Die Erinnerung an die 1,4 Millionen Tote und die Realität von einer Million Invaliden des Ersten Weltkrieges hatten die Gesellschaft im hohen Grade traumatisiert. So fanden Franzosen aller Couleur in dem Plan zusammen, mit der größten und teuersten Festungsanlage aller Zeiten, der Maginot-Linie, eine Wiederholung des Weltkrieges zu bannen.

In diesem Sinn akzeptierte die Dritte Republik auch die Einstellung der deutschen Reparationen, die Militarisierung des Rheinlandes, Hitlers Aufrüstung und schließlich die Aufteilung der mit ihr verbündeten Tschechoslowakei. „Die Geschichte Frankreichs zwischen 1919 und 1939, die Geschichte eines bitter-schwer errungenen und dann ganz und gar verlorenen Sieges und eines stufenweisen Abstiegs von stolzestem Selbstbewusstsein zur fast schon vollzogenen Selbstaufgabe, ist eine Tragödie“, urteilte Sebastian Haffner.

Da half nicht einmal der Umstand, dass die Weltwirtschaftskrise der späten Zwanziger deutlich später und abgeschwächt das Land heimsuchte. Gerade weil der Sieg im Weltkrieg der Republik einen Triumph beschert hatte, erkannte man die Zeichen des drohenden Niedergangs nicht. Als sie nicht mehr zu übersehen waren, prallten die Gegensätze zwischen Provinz und Pariser Metropole, Arbeiter- und Bauernschaft, Sozialismus und Katholizismus prallten umso heftiger aufeinander.

„Der muffige Geruch von kleinen Cafés“

Der latent vorhandene Antisemitismus, der sich schon in der Dreyfus-Affäre artikuliert hatte, fand in Politik und Unternehmerschaft neue Feindbilder. Hunderttausende Einwanderer, die in die Vororte von Paris zogen, wurden als Konkurrenten um Arbeit und Fürsorge ausgemacht. Das Erscheinungsbild des italienischen Faschismus und seine Erfolge wurden zum Leitbild rechtsradikaler Bewegungen, gegen die Sozialisten und Kommunisten mobil machten.

Immerhin provozierten die Volksfront-Regierungen, die nach dem 6. Februar 1934 für einige Zeit die Politik prägten, keinen Bürgerkrieg. Ihre Reformen wie die Einführung eines bezahlten Jahresurlaubs und Arbeitszeitverkürzungen machten sie zwar populär. Aber die Sozialleistungen erhöhten die Arbeitskosten um ein Drittel. Die Inflation fraß die Lohnerhöhungen auf. Das linke Bündnis zerbrach über den Ruinen seines Reformprogramms.

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Das Frankreich, das nach dem deutschen Überfall auf Polen 1939 schließlich notgedrungen England in den Krieg folgen musste, war ein zerrissenes Land, dessen sich befehdende Gruppen ihr Reservoir an Gemeinsinn aufgebraucht hatten. „Die Apparatur unserer Parteien verströmte den muffigen Geruch von kleinen Cafés oder düsteren Gemeinschaftsbüros“, höhnte der Zeitzeuge Marc Bloch.

Mit den Mitteln des vergangenen Krieges hofften Militärs und Politiker, den künftigen zu gewinnen, was sich bereits nach wenigen Tagen als Desaster entpuppte. Die ebenso schnelle wie völlige Niederlage gegen den deutschen Angstgegner schien all jene zu bestätigen, die die Dritte Republik und ihre Gesellschaft als morschen Staat diskreditierten.

Eine tief empfundene Krisenstimmung

Wenn sich heute die Kritik an der Fünften Republik der Gegenwart den (Zerr-)Bildern von der Dritten Republik bedient, lässt sich das mit ähnlichen Perspektiven erklären. Es klingt nach Defätismus und Selbstaufgabe. Ähnlichkeiten wie die Schwarzgeldskandale von Regierungsmitgliedern liegen tatsächlich auf der Hand.

Die Gründe, die der Historiker Jens Ivo Engels für die tief empfundene Krisenstimmung der Dreißigerjahre nennt, klingen geradezu wie eine Diagnose aktueller Befindlichkeit: „Die Krisenstimmung wurde genährt von den Veränderungen durch beschleunigte Modernisierung, den teilweise von internationalen Rahmenbedingungen ausgelösten Wirtschafts- und Haushaltsproblemen, aber auch von zunehmender außenpolitischer Isolierung.“

Allerdings hält die Dritte Republik für Präsident François Hollande auch einen Trost parat: Mit 79 Jahren war sie das haltbarste politische System, das Frankreich seit dem Ende des Ancien Régime besessen hat. Um das zu schlagen, muss die Fünfte Republik noch mehr als 25 Jahre durchhalten.

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