Museen seien ja eigentlich träge. Erst recht jene, die sich der Geschichte widmen, schauten sie doch stets nach hinten. Und so sei die Ausstellung „Inflation 1923 – Krieg, Geld, Trauma“, die am Dienstagabend im Historischen Museum in Frankfurt eröffnete, auch schon 2019 geplant worden, sagte Museumsleiter Jan Gerchow. Doch der Zufall wollte es, dass sie hochaktuell wurde. Denn auch heute wird Inflation wieder von jedem täglich erlebt.
Natürlich sind die Epoche von damals und die heutige nicht miteinander vergleichbar. 1923 zerrüttete die Hyperinflation das Land komplett, führte es an den Rand des Zusammenbruchs, wirtschaftlich, politisch und auch territorial. Sie brachte Millionen Menschen um ihre Ersparnisse und deklassierte breite Bevölkerungsschichten.
All das bringt die Ausstellung den Besuchern plastisch und anschaulich nahe. Doch sie macht nicht halt mit dem Ende der Hyperinflation, sie führt vielmehr weiter, über die D-Mark bis zum Euro und die Gegenwart.
Wer den Ausstellungsraum betritt, sieht als Erstes eine schwarze Kurve auf einem Schaubild. Diese Kurve strebt immer höher, verlässt irgendwann den Rahmen der Grafik, führt in Form eines hölzernen Stabes darüber hinaus und durchbricht schließlich scheinbar das obere Ende des Raumes. Die Inflation geht durch die Decke.
Es ist die erste Schau zu diesem Thema überhaupt, was erstaunt. Denn die Ereignisse waren einmalig – keine andere große, moderne Wirtschaftsnation hat so etwas jemals erlebt. Doch Frank Berger, Kurator der Ausstellung, nennt einen möglichen Grund für die bisherige Zurückhaltung der Museen: „Es ist ein prinzipielles Problem, einen Begriff der Volkswirtschaft, der Inflation ja ist, anschaulich darzustellen“, sagt er. Doch genau das hat er versucht.
In der Mitte der Ausstellung sehen die Besucher jene fast schon sprichwörtlichen Waschkörbe voller Geld – gefüllt mit echten Banknoten jener Zeit. Millionen-, Milliarden- und Billionenbeträge sind darauf gedruckt. Doch wert sind sie wenig bis nichts, selbst als Sammlerstücke. Es wurden damals solche Unmassen an Papier bedruckt, dass auch heute, hundert Jahre später, noch unzählige Exemplare in Schränken und Kellern lagern.
Daneben liegt beispielsweise eine Hotelrechnung, auf der Summen von Tausenden und Zehntausenden Mark addiert wurden. Oder ein Kontobuch des Bankhauses Metzler aus jener Zeit, dessen Spalten irgendwann nicht mehr breit genug für die irrwitzigen Beträge waren. Dinge, die den Alltag illustrieren sollen, die „krank machende Alltagshektik jener Zeit“, wie es Frank Berger ausdrückt.
Das Geld wurde einfach gedruckt
Damals endeten fünf Jahrzehnte der Sicherheit, in der die Deutschen gelebt hatten, selbst während des Ersten Weltkriegs hatten die meisten Menschen im Kaiserreich wenig davon mitbekommen, die Schlachtfelder lagen in Frankreich. Doch spätestens ab 1919 war es damit vorbei.
Nun spürten sie die Folgen des verlorenen Krieges, der Kriegsfinanzierung auf Pump, der Lasten durch die Reparationen, die die Alliierten verlangten. Langsam aber stetig verlor das Geld an Wert, schon 1920 waren die Ersparnisse der meisten Menschen praktisch nichts mehr wert – und doch war das erst der Anfang.
1923 strebte die Inflation ihrem Höhepunkt entgegen. Das war die Zeit, als die Preise sich in rauschhafter Weise erhöhten, sich irgendwann täglich verdoppelten und verdreifachten. Ultimativer Beschleuniger dafür war der Ruhrkampf: Um Berlin zur Zahlung der Reparationen zu zwingen, hatten Frankreich und Belgien im Januar 1923 das Ruhrgebiet besetzt.
Die Reichsregierung rief darauf an Rhein und Ruhr zum Generalstreik auf und versprach, den Menschen die Gehälter weiterzuzahlen – obwohl die Kassen komplett leer waren. Das Geld wurde einfach gedruckt.
Das zerrüttete Wirtschaft und Währung vollends. Im Herbst war die Lage so verzweifelt, dass es zu Plünderungen und Hungeraufständen kam. Und zum Beinahe-Zerfall der jungen Republik: In Sachsen probten sogenannte proletarische Hundertschaften den Aufstand, in München marschierte Hitler auf die Feldherrenhalle, im Rheinland wollten Separatisten einen eigenen Staat ausrufen.
Eigene Währung fürs Rheinland?
Dort wollten sie sogar eigenes Geld in Umlauf bringen. Erste Skizzen dieser Banknoten zeigt die Ausstellung – ein kleiner Höhepunkt, noch nirgends zuvor waren diese zu sehen. Um ein Haar wären die darauf abgebildeten Köpfe von Beethoven und Heine sowie der Kölner Dom zu Repräsentanten einer neuen Währung geworden.
Doch am Ende war es eine andere, gesamtdeutsche Währung, die die Rettung brachte: Die Rentenmark. Entscheidenden Anteil daran hatten der im August 1923 neu ins Amt gekommene Reichskanzler Gustav Stresemann und sein Finanzminister Hans Luther.
Luther wird in der Geschichtsschreibung oft vergessen, in der Ausstellung wird er hingegen gebührend gewürdigt, auch mit einem Filmdokument, in dem er erzählt, wie die Inflation schließlich gebändigt wurde.
Allerdings bestanden jene Jahre eben nicht nur aus Chaos und Verzweiflung. „Es war auch eine wahnsinnig innovative Zeit“, sagt Berger. 1922 wurde der erste Tonfilm aufgeführt, im Oktober 1923, als die Menschen schon mit Milliardenscheinen bezahlten, startete der Rundfunk in Deutschland.
Folgen reichten weit über 1923 hinaus
Auch in der Mode wurden neue Akzente gesetzt, die Kunst brach ohnehin gerade alle Konventionen. All das thematisiert die Ausstellung ebenfalls.
Es war eine irre Zeit, eine spannende und kreative, aber natürlich zugleich zerstörerische und ruinöse Epoche. Und dies hatte Folgen, weit über 1923 hinaus. Vor allem die obere Mittelschicht erlebte einen totalen Absturz und machte die junge Republik dafür verantwortlich. Zusammen mit der Weltwirtschaftskrise Ende des Jahrzehnts legte dies die Basis für die Zerstörung dieser Republik.
Deshalb endet die Frankfurter Ausstellung auch nicht 1923, sondern spannt den Bogen weiter, über die erneute Geldzerstörung durch die Nazis, die Einführung der D-Mark 1948 in Westdeutschland und 1990 in der DDR bis zu ihrer Ablösung durch den Euro.
Inflation im April auf 7,2 Prozent gesunken
Die deutsche Inflationsrate ist im April auf den niedrigsten Stand seit acht Monaten gefallen. Die Verbraucherpreise lagen im Schnitt 7,2 über dem Niveau des Vorjahresmonats, wie das Statistische Bundesamt in einer ersten Schätzung mitteilte.
Quelle: WELT/ Fanny Fee Werther
Warum die D-Mark so stark war, warum die Währungshüter der Bundesbank fast schon kultischen Status hatten und warum die Deutschen bis heute solch eine Angst vor Inflation haben – all das ist letztlich nur zu verstehen, wenn man die Zeit der Hyperinflation kennt.
Und die Präsentation lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass die heutigen Notenbanken eine Hyperinflation wie vor 100 Jahren zu verhindern wüssten. Dafür stehe die Bundesbank und dafür stehe das Eurosystem ein, sagte Alexandra Hachmeister, Leiterin des Zentralbereichs Ökonomische Bildung bei der Bundesbank bei der Eröffnung der Ausstellung, die von der Notenbank finanziell unterstützt wurde.
„Europa hat aus den Erfahrungen des Jahres 1923 gelernt“, sagte Hachmeister. Daher habe die EZB auch schnell auf die anziehende Inflation der vergangenen Monate reagiert, und es zeichne sich bereits ab, dass der Trend nach oben gebrochen sei. Aber sie warnte auch: „Der Wert des Geldes muss immer wieder neu gesichert werden.“ Die Ausstellung zeigt eindrücklich, warum.
„Alles auf Aktien“ ist der tägliche Börsen-Shot aus der WELT-Wirtschaftsredaktion. Jeden Morgen ab 5 Uhr mit den Finanzjournalisten von WELT. Für Börsen-Kenner und Einsteiger. Abonnieren Sie den Podcast bei Spotify, Apple Podcast, Amazon Music und Deezer. Oder direkt per RSS-Feed.