Darf man in Deutschland „Juda verrecke!“ brüllen? Nein. Es sei denn, man ruft auf Englisch: „From the River to the Sea! Palestine will be free!“ Das Gebiet vom Jordan bis zum Mittelmeer soll also frei sein. Frei von „Zionisten“ nämlich, also, wie man früher sagte: judenrein. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wollte die Parole darum als Losung der terroristischen Hamas verbieten lassen.
Nun hat erstmalig ein deutsches Landgericht in der Sache geurteilt und einen Mann vom Vorwurf der Verwendung der Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen freigesprochen, der ein Plakat mit jener Losung hochgehalten hatte. Als Liberaler bin ich hier in einer Zwickmühle. Grundsätzlich neige ich zu der angelsächsischen Auffassung, dass nicht nur die Gedanken, sondern auch die Worte frei sein sollen. Jeder sollte das Recht haben, sich lächerlich, verächtlich, kurz: unmöglich zu machen. Ich müsste also das Urteil des Landgerichts Mannheim begrüßen.
Wenn da nicht die Begründung wäre. Die Losung stamme aus den 1960er-Jahren, so die Richter, und gehe auf die von Jassir Arafat gegründete Organisation Fatah zurück, die heute im Westjordanland herrscht. „Die Vorstellung damals zielte auf die Errichtung eines säkularen, demokratischen und egalitären Staates in ganz Palästina ab, in dem die Juden volle Gleichberechtigung genießen sollten, aber ohne die Privilegien des Zionismus.“
Ähm, nein. So stand es in der Verfassung der Fatah, so wie die kommunistische SED in den 1950er-Jahren für „die Einheit Deutschlands, Volksdemokratie und einen gerechten Friedensvertrag“ eintrat. Jeder wusste damals, dass damit die stalinistische Diktatur gemeint war. „Es muss demokratisch aussehen“, sagte Walter Ulbricht schon 1945, „aber wir müssen alles in der Hand haben.“
Arafat war ehrlicher. In seinem Staat sollte laut Fatah-Verfassung zwischen dem Fluss und dem Meer „die Ausrottung der ökonomischen, politischen, militärischen und kulturellen Existenz des Zionismus“ oberstes Ziel sein. Zu Deutsch: die Enteignung, Entrechtung, Entwaffnung und kulturellen „Ausrottung“ der Juden. Und was danach gekommen wäre, muss man sich nicht ausmalen, die Hamas hat es am 7. Oktober vorgemacht.
Ganz davon zu schweigen, dass dieses „demokratische und egalitäre“ Palästina ohne Zionisten, von dem die Mannheimer Richter schwärmen, auf den Trümmern eines Staates entstanden wäre, den die Vereinten Nationen 1948 ins Leben gerufen haben: Israel.
Die Richter finden es anscheinend in Ordnung, die gewaltsame Auflösung eines Staates zu befürworten, so lange das Ziel so edel ist wie das judenreine Palästina Arafats. In Mannheim meinen deutschen Richter, der Zionismus sei ein „Privileg“, nicht die verzweifelte Antwort des jüdischen Volkes auf Jahrhunderte der Verfolgung, nicht zuletzt durch deutsche Richter.
Folgerichtig wäre es, die furchtbaren Juristen hätten den Demonstranten gleich erlaubt, „Juda verrecke!“ zu brüllen. Ehrlicher auf jeden Fall. Damit könnte ich als Liberaler fast besser leben.