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Meinung Russland

Evan Gershkovich ist kein Spion. Er ist Journalist!

Evan Gershkovich bei der letzten Gerichtsvorführung vor wenigen Tagen Evan Gershkovich bei der letzten Gerichtsvorführung vor wenigen Tagen
Evan Gershkovich bei der letzten Gerichtsvorführung vor wenigen Tagen
Quelle: AFP
US-Korrespondent Evan Gershkovich sitzt seit mehr als einem Jahr im Moskauer Lefortowo-Gefängnis. Vorwurf: Spionage. Das ist natürlich Quatsch. Putin will mit der Aktion einen Ausländer mundtot machen und endgültig die freie Presse in Russland begraben. Vorbilder dafür gibt es genug.
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Evan Gershkovich, Reporter für das „Wall Street Journal“, sitzt seit dem 29. März 2023 in Moskaus berüchtigtem Lefortowo-Gefängnis. Der junge Mann, ordentlich akkreditiert beim russischen Außenministerium, arbeitete als Reporter in Jekaterinburg, als er vom FSB verhaftet wurde. Journalismus ist kein Verbrechen. Doch ist die Definition von Spionage in Russland so breit angelegt, dass Reportage zu Spionage wird. Unlängst wurde seine Untersuchungshaft noch einmal verlängert – bis zum 30. Juni.

Gershkovich feierte seinen 32. Geburtstag im Gefängnis, und wenn es nach Putin geht, könnte er den 33. auch im Knast verbringen. Er ist das jüngste Opfer im Kampf gegen eine freie Presse – und mehr: ein russischer Spielball der Geisel-Diplomatie, vulgo: Menschenhandel. Die Regeln sind so krude wie effektiv.

Ein Staat greift sich einen schuldlosen Bürger eines anderen, um ihn gegen einen rechtmäßig verurteilten Verbrecher auszutauschen. So geschehen bei der Basketballerin Brittney Griner, die wegen eines Gramms Cannabis (medizinisch verschrieben!) zu neun Jahren verurteilt wurde. Davon musste sie zehn Monate absitzen, bevor sie von den USA gegen einen überführten Waffenhändler ausgetauscht wurde.

Evan Gershkovich im Gespräch mit seinen Rechtsanwälten. Er wird bewacht wie ein Schwerverbrecher
Evan Gershkovich im Gespräch mit seinen Rechtsanwälten. Er wird bewacht wie ein Schwerverbrecher
Quelle: AFP

Im Völkerrecht gilt das Prinzip der Reziprozität (Gegenseitigkeit), nicht aber für Journalisten. Kein westliches Land käme auf die Idee, einen russischen Journalisten einzukerkern, um einen eigenen heimzuholen. Womöglich wäre der eingesperrte Landsmann dem russischen Gewaltherrscher nicht wichtig genug, um seine Zeit mit ihm zu vergeuden. Präsident Biden hat die Rückholung Evan Gershkovich nicht nur zur Staats-, sondern auch zu einer Herzensangelegenheit gemacht. Seine Zeitung sowie die US-Regierung versichern, dass der Korrespondent kein Spion war.

Evan Gershkovich, der nur ein „guter Reporter sein wollte“, ist in Kriegszeiten in die Falle Putinscher Mediengesetze geraten, welche die allerletzten Reste einer halbwegs freien Presse liquidieren sollten. Jetzt ist er in einer winzigen Zelle zur Schachfigur in Putins Spiel geworden. Menschenhandel gab es übrigens nicht in der alten Sowjetunion. Korrespondenten wurden bloß des Landes verwiesen.

Das letzte Mal, als ein amerikanischer Journalist verhaftet wurde, war 1986. Nicholas Daniloff, Korrespondent der Zeitschrift „U.S. News & World Report“, wurde vom KGB verhaftet und der Spionage bezichtigt. Auch er wurde ins Lefortowo-Gefängnis gesperrt. Doch Daniloff kam schon nach zwei Wochen ohne Anklage frei und konnte die Sowjetunion verlassen. Die US-Regierung hatte einen russischen Diplomaten, der der Spionage angeklagt war, abgeschoben. Gershkovich sitzt nun schon seit 13 Monaten.

Am Times Square in New York hängt diese Plakatwand, um an das Schicksal des Reporters zu erinnern
Am Times Square in New York hängt diese Plakatwand, um an das Schicksal des Reporters zu erinnern
Quelle: REUTERS

Der in New York geborene, russisch sprechende Sohn von emigrierten Eltern, war einer der letzten westlichen Reporter, die in Russland über das Land berichteten. Die Heimgekehrten waren nicht so tapfer, hatten sie doch erlebt, wie die Schlinge immer enger wurde. Und sie checkten, dass es nicht nur um Ausländer ging. Das Exempel Gershkovich soll auch die eigenen Leute abschrecken. Einheimische Journalisten flohen in Scharen. Gut für Putin. Je weniger Aufpasser im Land, welcher Nationalität auch immer, desto besser für den Alleinherrscher.

Russische Journalisten leben schon seit zwanzig Jahren gefährlich. Seit 2000 wurden 16 von ihnen in Russland ermordet. Prominentestes Opfer war 2006 Anna Politkowskaja. Sie arbeitete für die „Novaya Gazeta“. Redakteure dieser Zeitung sind am häufigsten Mordopfer gewesen. Die Zeitung ist längst aus Moskau verschwunden, sie sitzt jetzt in Lettland. Die „Moscow Times“, für die Gershkovich in früheren Jahren gearbeitet hatte, ist längst nach Armenien ausgewichen.

Russland ist einer der gefährlichsten Orte für Journalisten geworden, das zeigen die Daten von „Reporter ohne Grenzen“. Fast drei Dutzend schmoren im Gefängnis, mehr als in Saudi-Arabien oder Syrien. Nur China und Myanmar sind „besser“.

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Von Wladimir Putin bis zu den Gottesstaatlern in Iran schließen die autoritären Regime in aller Welt immer mehr unabhängige Medien und kerkern Journalisten ein. Anno 2022 wurden weltweit 57 Journalisten umgebracht, 533 verhaftet, 65 als Geiseln genommen und 49 als vermisst gemeldet. Die Kriege in Syrien, Ukraine und Gaza treiben die Zahl der gefallenen Reporter noch weiter nach oben.

In immer mehr Ländern werden unabhängige Medien verfolgt, geschlossen und der journalistischen Freiheit beraubt. Die Anzahl der Länder, in denen ein Niedergang der Pressefreiheit zu beobachten ist, hat sich laut V-Dem, einer schwedischen Gruppe, in den letzten zehn Jahren verdreifacht. Fazit: „Der Angriff auf die Pressefreiheit ist ein starker Beleg dafür, dass die Freiheit in Gefahr ist.“

Hongkong hatte nicht nur als britische Kronkolonie eine bunte Medienlandschaft. Gleiches galt sogar in den ersten Jahren der chinesischen Herrschaft. Die Medien sind nun gleichgeschaltet. Der Höhepunkt war 2021 die Schließung des prodemokratischen Apple Daily (hat nichts mit dem Konzern zu tun), der populärsten Zeitung der Stadt.

Die Behörden zimmerten neue Sicherheitsgesetze, um das Vermögen des Unternehmens und seines Gründers Jimmy Lai einzufrieren. Lai wurde zahlungsunfähig und musste die Zeitung einstellen. 1000 Angestellte verloren ihren Job. Jimmy Lai wurde mehrfach verhaftet – wegen des Verstoßes gegen das Sicherheitsgesetz. Seit Monaten steht der 76-Jährige abermals vor Gericht, nun wegen Verschwörung und „aufwieglerischer“ Texte im Apple Daily. Ihm droht lebenslänglich.

Die meisten gefangenen Reporter sind lokale Journalisten, sie haben nicht das Glück, dass eine ausländische Regierung sich für sie einsetzt. So wurde Roman Ivanov, ein Reporter der Nachrichten-Website „RusNews“ gerade zu sieben Jahren im Gulag verurteilt. Sein Verbrechen? Er hatte einen UN-Report über die Kriegsverbrechen der russischen Soldaten in der Ukraine zusammengefasst. Verbreitung von Fake News lautete die Anklage.

Ein falsches Buch reicht für eine Festnahme

Alsu Kurmasheva, eine Russin mit US-Pass, die für Radio Free Europe/Liberty arbeitet, wurde im Oktober verhaftet. Begründung: Sie hatte sich nicht als „foreign agent“ beim Außenministerium registrieren lassen und ein kritisches Buch über die russische Invasion geschrieben. Vielleicht hat sie mehr Glück als ihre Landsleute ohne zweiten Pass.

Derweil bleibt Evan Gershkovich weiter in seiner Zelle, hält sich körperlich fit. „Er hat breitere Schultern gekriegt“, sagt seine Mutter. Er liest und meditiert und hat täglich eine Stunde Ausgang, sechs Schritte vor, sechs Schritte zurück.

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1971 zurrte das Oberste Gericht der USA das „Recht auf unbehinderte Informationsbeschaffung“ fest. Ohne „Schutz für Journalisten gibt es keine freie Presse“. Und ohne die keine Freiheit. Genau das beweist Putin – den Preis zahlt Gershkovich seit 400 Tagen. Und das russische Volk.

Christine Brinck ist Publizistin. Sie hat u.a. vergleichende Hochschulforschung gelehrt.

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