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Meinung Deutsche Außenpolitik

Berlin darf nicht den Lehrmeister geben

Staatsbesuch in China: „Die Bundesregierung agiert außenpolitisch zu oft zögerlich“, meint Frank Müller-Rosentritt Staatsbesuch in China: „Die Bundesregierung agiert außenpolitisch zu oft zögerlich“, meint Frank Müller-Rosentritt
Staatsbesuch in China: „Die Bundesregierung agiert außenpolitisch zu oft zögerlich“, meint Frank Müller-Rosentritt
Quelle: picture alliance/dpa
Die deutsche Außenpolitik steht vor der Herausforderung, unsere freiheitliche Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung zu verteidigen. Gerade in Bezug auf China muss die Bundesregierung deutlich Stellung beziehen, meint unser Gastautor.

Wir erleben aktuell eine neue Systemkonfrontation zwischen den liberalen Demokratien und einer pseudokommunistischen, autoritären Diktatur. In den vergangenen Jahren haben politische Krisen und Verwerfungen weltweit, auch in Europa, ein alarmierendes Ausmaß angenommen. Vor diesem Hintergrund mag niemand mehr vom „Ende der Geschichte“, wie es Francis Fukuyama 1992 in seinem kontrovers diskutierten Buch „The End of History and the Last Man“ („Das Ende der Geschichte“) prophezeit hatte, reden.

Im Gegenteil: Zuletzt haben die Auseinandersetzungen zwischen den Vereinigten Staaten und China an Schärfe eher zugenommen. Wir erleben zudem, wie Rechtspopulismus, aggressiver Expansionismus und dumpfer Nationalismus auf die internationale Bühne zurückkehren. Einst hatten Liberalismus und Marktwirtschaft am Ende des alten Ost-West-Konflikts persönliche und wirtschaftliche Freiheit in Wohlstand versprochen.

Dieser Tage aber fühlen sich Menschen weltweit, zum Teil auch vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, erneut zu einfachen, autoritären politischen Antworten hingezogen. Ein einfaches Freund-Feind-Bild wird der Komplexität und der dynamischen Entwicklung unserer Welt nicht gerecht.

Daraus erwachsen für die deutsche Außenpolitik im Umkehrschluss zweifellos eine Reihe von immensen Herausforderungen, wenn wir unsere freiheitliche Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung verteidigen wollen. Wir haben exzellente Diplomatinnen und Diplomaten, hervorragende Expertise in Thinktanks und Organisationen der internationalen Politik.

Die Bundesregierung agiert jedoch außenpolitisch zu oft zögerlich, fast schon verschämt und unentschlossen. Nun scheint es so, dass auch das Kanzleramt und das Bundeswirtschaftsministerium in Bezug auf China die inzwischen geradezu anachronistische Formel „Wandel durch Handel“ hinterfragen.

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Wir sollten die Beziehungen ehrlicherweise in einer Trias begreifen. Das heißt: wichtiger Partner, systemischer Rivale und wirtschaftlicher Wettbewerber. So, wie wir in diesem Zusammenhang Ambivalenzen erkennen und ihnen angemessen handeln sollten, müsste dies für unsere gesamte Außenpolitik gelten. Schließlich ist sie einer der Schlüssel für die Lösung der größten Herausforderungen unserer Zeit. So intensiv wie nie zuvor erfordern sie gemeinsame Anstrengungen.

Dafür kann und muss die EU kraftvolles Instrument sein, wenn wir ihre Potenziale, hin zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, fest im Blick behalten. Insofern ist es sehr zu begrüßen, dass die EU nun gegenüber China in Bezug auf Hongkong und die problematische Situation von Minderheiten zu einer nahezu abgestimmten Sprache gefunden hat, wie jüngst anlässlich der Europareise des chinesischen Außenministers zu beobachten war. Die transatlantische Partnerschaft wiederum ist trotz aller Abgesänge kein Auslaufmodell.

Im Gegenteil: Sie hat die Chance, auf eine neue pragmatische Weise auch alternative Möglichkeiten der Kooperation zu eröffnen. Inwiefern dies gelingt, hängt tatsächlich auch vom Ergebnis der US-Präsidentschaftswahlen im Herbst ab. Für Deutschland und Europa kann indes künftig nicht die Frage sein: China oder USA? Ein polarisierendes Entweder-oder-Spiel darf es ebenso wenig geben wie einseitige Abhängigkeiten. Die EU braucht ein eigenes außenpolitisches Selbstbewusstsein, auch gegenüber ihren Partnern, aber erst recht gegenüber ihren Konkurrenten.

Dabei sollte Deutschland nicht den Lehrmeister geben, doch viel öfter im Sinne eines gemeinsamen Ergebnisses klar und deutlich Stellung beziehen. Das ist der Inbegriff einer werte- und interessengeleiteten Außenpolitik, die Bewegung hin zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unterstützt und dort deutliche Worte findet, wo massiv dagegen verstoßen wird.

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Ob Hongkong oder Belarus: Wir benötigen in Deutschland und Europa den unmissverständlichen Konsens, dass wir auf der Seite derjenigen stehen, die für die Freiheit im Zweifel sogar ihr Leben riskieren! Das betont richtigerweise auch die Bundesregierung immer wieder. Jedoch würde es der deutschen Außenpolitik, ihrer Glaubwürdigkeit und ihrem Einfluss gut zu Gesicht stehen, viel öfter glaubhaft Standpunkte einzunehmen und diese dann auch zu vertreten.

Auf Dauer wird es nicht gelingen, maximale Geschmeidigkeit gegenüber dem jetzigen Regime im Iran, einem oligarchischen Russland und einem türkischen Präsidenten an den Tag zu legen, der aktuell wiederholt Mitgliedern von EU und Nato offen droht. Unsere zu Recht viel beschworenen gesellschaftlichen und politischen Werte können wir so auf Dauer jedenfalls nicht glaubhaft schützen.

02.11.2019, Sachsen, Neukieritzsch: Frank Müller-Rosentritt, aufgenommen auf dem 51. Landesparteitag der FDP Sachsen. Im Mittelpunkt des Parteitages stand die Neuwahl des Landesvorstandes. Müller-Rosentritt ist neuer Landesvorsitzender. Foto: Peter Endig/dpa-Zentralbild/dpa [ Rechtehinweis: picture alliance/Peter Endig/dpa-Zentralbild/dp
Quelle: picture alliance/dpa

Frank Müller-Rosentritt, MdB (FDP), ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Dort ist er unter anderem zuständig für die Region Süd- und Südostasien, einschließlich China, Indien und Japan.

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