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Meinung Kultur in Corona-Zeiten

Sind die Künste doch nicht so systemrelevant?

Freier Feuilletonmitarbeiter
"Wir wurschteln weiter", schreibt Manuel Brug. "Sportiv, dabei kreativ ermüdet. Weil der reinigende Donnerschlag nicht knallte? Noch nicht?" "Wir wurschteln weiter", schreibt Manuel Brug. "Sportiv, dabei kreativ ermüdet. Weil der reinigende Donnerschlag nicht knallte? Noch nicht?"
"Wir wurschteln weiter", schreibt Manuel Brug. "Sportiv, dabei kreativ ermüdet. Weil der reinigende Donnerschlag nicht knallte? Noch nicht?"
Quelle: Daniel Karmann/dpa, Claudius Pflug
Deutschland hat das wahrscheinlich reichhaltigste Kulturförderungssystem weltweit. Das zeigt sich auch in der Corona-Krise. Aber was wird mit dem Geldregen begossen? Und wie relevant ist die Avantgarde heute? Unser Autor hat da seine Zweifel.

Scheitern als Chance. Corona als Neustart. Mitnichten, es scheint, als geht alles so weiter, vor allem das Feiern und Urlauben. Die kleine Flucht als institutionelle Massensause. Und was machen die Künste, respektive die Künstler? Die lecken Wunden, weil sie erkannt haben, dass sie doch nicht ganz so systemrelevant sind, wie sie womöglich dachten.

Der Staat hat ihnen die doch nicht so warme Schulter gezeigt, große Teile der Bevölkerung stehen ihnen ambivalent bis ablehnend gegenüber. Und das mit mehr Social-Media-Präsenz und Anspruch als noch vor – sagen wir – hundert Jahren.

Da war der Erste Weltkrieg vorbei, die Spanische Grippe, das wissen wir jetzt wieder, forderte weitere Millionen Tote. Aber mehr noch: Eine Gesellschaftsordnung war umgestoßen, weggeputzt, Europa diverser Monarchien beraubt. Demokratie, Sozialismus, Kommunismus – alles war ein sehr realer Experimentierbaukasten. Und die Künste, damals vorneweg, suchten das Neue, Radikale, Noch-nie-Dagewesene.

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In Paris hatte schon 1907 Pablo Picasso mit den „Demoiselles d’Avignon“ den Schritt in die Abstraktion getan. In Weimar und später in Dessau wurde im Bauhaus an einer futuristisch-sachlichen Architektur- wie Designsprache gewerkelt. Der literarische Expressionismus kotzte sich das große Töten aus der zerscherbten Schriftstellerseele.

In Berlin standen sich ein realistischer Regisseur wie Max Reinhardt und auf seiner berühmten Bühnentreppe Leopold Jessner als Meister des politischen Expressionismus im Theater gegenüber; während in den Ateliers der deutsche Stummfilm künstlerisch zu blühen begann. Und in Wien schraubten Arnold Schönberg und Josef Matthias Hauer grimmig entschlossen an ihrer Zwölftontechnik. Alles auf Anfang, Welt im Umbruch.

Überhaupt Wien. Jetzt, wo die – trotz Corona stattfindenden – Salzburger Festspiele ihr 100. Jubiläum feiern, da wird der kreative Schoß, aus dem deren schöngeistige Gründergedanken krochen, in seiner subversiven Fülle deutlich.

Reinhardt, Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss, das waren die bereits bourgeoisen Exponenten dessen, was in der morbiden Kapitale dieses sterbenden Riesenreiches seit der Jahrhundertwende brodelte.

„Traum und Wirklichkeit“, so hieß 1985 eine legendäre Ausstellung, die diesen Schmelztiegel des Schönen und Neuen noch einmal auskratzte und damals für die Neudefinition Wiens als europäische Metropole von zentraler Bedeutung wurde. Man hat nämlich schon wieder vergessen, wie modern man einmal war.

Ob Literatur, Malerei, Mode, Design, Musik – Wien hatte die Nase vorn, zwischen dem „Café Griensteidl“ und der psychiatrischen Praxis des Doktor Freud, dem schnörkellosen Adolf Loos, dem fiebrig-farbigen Gustav Klimt und der immensen Fülle meist jüdischer Schriftsteller jeden Genres wie etwa Felix Salten, der neben Krimis auch noch zum Vater von Bambi und Josefine Mutzenbacher wurde.

Wiegen der Moderne

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Perdu. Über Wien breitete sich danach wieder ein Leichentuch des Gewöhnlichen aus, das später selbst von den Aktionisten nicht mehr nachhaltig gelüpft wurde.

Paris und Berlin hatten der Stadt schnell den Rang als Wiegen der Moderne abgelaufen, in denen das Leben tobte, die Lust nach Novitäten atemlos machte.

Dann kam New York and so on. Die Karawane zieht weiter. Irgendwann in den Neunzigern und frühen Nullerjahren des alten wie neuen Jahrtausends war selbst das räudige, geteilte, hastig zusammengetackerte Berlin mal wieder ein kultureller Hotspot.

Deutschland hat das wahrscheinlich reichhaltigste und breitenwirksamste Kulturförderungssystem weltweit. Das zeigte sich gerade wieder in der Corona-Krise, wo zwar viel geschimpft, aber gleichzeitig auch viel bewahrt wurde. Und allüberall erschien Kunstministerin Monika Grütters als dünnlippige, streng-katholische Flora aus dem Münsterland und schüttete ihr Füllhorn aus.

Was wird damit begossen? Wo ist heute die Avantgarde, nach der sich die Auguren verzehren? Deutsche Popmusik ist nicht wirklich relevant, das wurde jüngst beim Tod von Kraftwerk-Dioskur Florian Schneider überdeutlich.

Die Klassik verharrt bequem mit ihren inzwischen durchaus wohltönenden Ismen an den üblichen Fördertöpfen. Die Oper ist happy, wenn sie einen neuen alten Barockkomponisten entstaubt. Das Theater hat sich in Regiewütereien und Stückzerlegungen erschöpft. Wo sind die jungen Blockbuster-Autoren?

Beim Bachmann-Wettbewerb wurde – wohlverdient – gerade die 80-jährige Helga Schubert als große Übersehene ausgezeichnet. Modephilosophen füllen mit ihren sanften oder zornigen Wellnesspredigten die Feuilletonseiten – mehr auch nicht.

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Die bildende Kunst gefällt sich, während eine neue Welle gegenständlicher Malerei verebbt, in zeitraubenden Immersionen: performative, zeitraubende Installationen, gern auch mal 24 Stunden oder eine Woche lang, die in den großen Off-Bühnen von Antwerpen bis Berlin bereits abgehakt schienen, aber plötzlich die Biennale von Venedig vor Verzückung delirieren ließ.

Die Architektur-Scouts schwelgen in der Verherrlichung des Betonbrutalismus, ob nun in Gestalt des Berliner Mäusebunkers oder von Kriegerdenkmälern in Ex-Jugoslawien. Und wenn so etwas abgerissen wird, wie in Frankfurt am Main, wird es durch eine als tote Hülle rekonstruierte Vision der Biedermeierstadt von gestern ersetzt.

Ganz zu schweigen vom leerlaufenden Modezirkus mit seinen von Couturehaus zu Couturehause ziellos switchenden Designern, die im ewigen Kreislauf aus Retro, Nostalgie, Zitat und Neuinterpretation eigentlich schon längst stranguliert sein müssten.

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Quelle: WELT/Alina Quast

Covid-19 hat, man kann das gut oder schlecht finden, bis jetzt künstlerisch nichts zerstört und verändert. Manches wird gehen oder geschlossen bleiben. Aber umstürzlerisch Neues hat das Virus bisher nicht hervorgebracht. Sicher, es ist zu früh, danach zu rufen. Aber man sieht auch keine Zeichen an dem Flipchart oder auf der Denkerstirn.

Wir wurschteln weiter. Sportiv, dabei kreativ ermüdet. Weil es eine Epoche des Eklektizismus ist? Weil der reinigende Donnerschlag, den Stahlgewittern des Großen Krieges ähnlich, nicht knallte? Noch nicht?

Es ist jedenfalls zeittypisch, dass etwa die Bayerische Staatsoper mit der durch Corona abgesagten letzten Premiere jetzt in die neue Spielzeit startet: dem Marina-Abramović-Projekt „The 7 Deaths of Maria Callas“.

Eine Kunstikone, die ihre beste Zeit hinter sich hat, die ernten will, sucht sich die Oper als Gralstempel, um sich dort in der Beschwörung einer anderen, toten Primadonna selbst zu vergöttlichen. Avantgarde – das gestrige Spiel.

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Quelle: WELT/ Nadine Jantz

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