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Meinung Nato und EU

Wo ist die Greta der Sicherheitspolitik?

Deutschlands Engagement in der Welt fehlt eine strategische Ausrichtung Deutschlands Engagement in der Welt fehlt eine strategische Ausrichtung
Deutschlands Engagement in der Welt fehlt eine strategische Ausrichtung
Quelle: pa/Gero Breloer
In der Klimapolitik leistet sich die Politik einen Überbietungswettbewerb. In der Sicherheitsfrage, die ähnlich elementar für die Zukunft ist, bleibt sie im Vagen. Umso wichtiger ist Kramp-Karrenbauers Syrien-Vorstoß, schreiben hier zwei ehemalige hohe Militärs.

Da überrascht uns die Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer mit einem deutschen Vorschlag zur Einrichtung einer Sicherheitszone in Nordsyrien. In der öffentlichen Wahrnehmung werden über Tage andere Themen, wie die Umweltpolitik, plötzlich nach hinten gerückt. Es beginnt so etwas wie eine sicherheitspolitische Debatte in Deutschland.

Endlich, möchte man meinen. Kann die Verteidigungsministerin die ebenso existenzielle Frage nach Frieden und Sicherheit als eine Art „Greta Thunberg“ ins Zentrum der Politik führen? Oder lassen wir diese Zukunftsaufgabe wieder einmal an uns vorübergehen, in der Hoffnung, dass „es schon nicht so schlimm kommen wird“?

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Deutschland hat erstmals seit der Wiedervereinigung – oder gar seit Helmut Schmidts Vorschlag zum Nato-Doppelbeschluss 1977 – in einer bedeutsamen Frage europäischer Sicherheit die Initiative ergriffen. Sehr mutig, wenn auch mit handwerklichen Unzulänglichkeiten und für die Nahost-Region Jahre zu spät. Gleichzeitig bleibt festzuhalten, dass in dieser für Europa geostrategisch so wichtigen Nachbarschaft – denken wir nur an die Flüchtlingsbewegungen nach Europa und Präsident Erdogans neuerliche Drohungen und Erpressungsversuche – durch andere Fakten geschaffen werden.

Inzwischen ist Russland die entscheidende Ordnungsmacht im Nahen Osten, das Nato-Mitglied Türkei eher zu einem russischen Kooperationspartner mutiert, und beide stärken den aggressiven Iran als die Regionalmacht. Europa ist und die USA haben sich selbst in dieser so wichtigen Region marginalisiert.

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Und damit sind wir beim tatsächlichen Problem angelangt: die Zukunft der europäischen Sicherheit und Verteidigung. Es fehlt seit Langem an einer strategischen Ausrichtung in einer sich dramatisch verändernden Welt, nicht nur für die Nahost-Region. Sollte Kramp-Karrenbauers Initiative als der deutsche „Weckruf“ verstanden werden, um „sein eigenes Schicksal wirklich in die eigene Hand zu nehmen“, wie es die Bundeskanzlerin schon vor Jahresfrist gefordert hat, erwirbt sich die Verteidigungsministerin bleibende Verdienste um die deutsche und europäische Sicherheitspolitik.

Die fünf entscheidenden Themenfelder

Erstens: Will die Europäische Union in dieser komplexen und rauen Welt nicht zum Spielball werden von hungrigen Aufsteigern – China, Indien –, oder von auf sich selbst bezogenen Revanchisten – Russland und auch die Türkei –, oder vom Kurs abgekommenen Egozentrikern – in den USA –, muss sie sich endlich zu einem Akteur im globalen Maßstab entwickeln. Dabei wird Europa sich nicht als eine bei jeder Frage mühsam zusammenraufende Gruppe von Nationalstaaten behaupten können. Allzu oft gelingt noch nicht einmal dies. Europa kann zukünftig nur integriert und vernetzt für seine Werte eintreten und seine Interessen vertreten.

Zweitens: Das verlangt nach einer strategischen Ausrichtung der EU, die Voraussetzung für europäische Handlungsfähigkeit. Wozu dieser Mangel im politischen Krisenmanagement führt, ist wöchentlich zu besichtigen: fehlende strategische Ausrichtung in Syrien, gegenüber der Türkei, in der Iran-Nuklearfrage, beim Schutz der ökonomischen Lebenslinien in der Straße von Hormus, bei der Flüchtlings- und Migrationsfrage und beim Schutz der Außengrenzen. Der Vorschlag Kramp-Karrenbauers sollte deshalb als ein gezielter Befreiungsschlag verstanden werden, weg von dieser so offensichtlichen europäischen Inkompetenz.

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„Sie hat die Verbündeten über ihre Gedanken informiert, wie es weitergehen kann“, kommentierte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg AKKs Vorschlag zu einer Schutzzone in Syrien. Stellt sich die Frage, ob die Nato in Syrien überhaupt noch Einfluss hat.

Quelle: WELT / Sebastian Plantholt

Drittens: In Zeiten nationalistischer Rückbesinnung und Verkennung historischer Lehren wird es nicht einfach sein, diese Wege erfolgversprechend zu beschreiten. So werden einige EU-Staaten in einem für alle offenen Prozess voranschreiten und den Kurs vorzeichnen müssen. Wolfgang Schäuble und Karl Lamers haben schon 1994 die Notwendigkeit eines solchen Kerneuropas erkannt und gefordert. Im Vertrag von Lissabon ist dies zu EU-Recht geworden und damit umsetzbar.

Es fehlt jedoch am politischen Willen. In der Verantwortung stehen hier zuvörderst Deutschland und Frankreich, unter Mitnahme von weiteren EU-Staaten, die bereit sind, mit voranzugehen. Deutschland muss dabei endlich seinen sicherheits- und verteidigungspolitischen Schlingerkurs, seine „Kultur der Zurückhaltung“ beenden und zu einer „Kultur der Verantwortung“ mit klarem Kompass gelangen. Das hatte der damalige Bundespräsident Joachim Gauck schon vor fünf Jahren angemahnt und darauf zielt ganz offensichtlich der Vorschlag der Verteidigungsministerin.

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Viertens: Nun wird denen, die für eine eigenständige europäische Sicherheit und Verteidigung eintreten, geradezu reflexartig unterstellt, die transatlantische Brücke einreißen bzw. das Nordatlantische Bündnis, die Nato in Frage zu stellen oder gar abschaffen zu wollen. Das kann und darf nicht europäische Politik werden. Es darf aber künftig auf beiden Seiten des Atlantiks nicht mehr hingenommen werden, dass 320 Millionen Amerikaner für die Sicherheit von 500 Millionen Europäern die Hauptlast tragen. Das „Outsourcen“ europäischer Sicherheit nach Washington muss schleunigst beendet werden. Deshalb trägt die Zwei-Prozent-Debatte auch eher abstruse Züge, als dass sie zielführend wäre.

Die künftig 27 EU-Mitgliedsstaaten geben zusammen 200 Milliarden Euro für ihre Streitkräfte mit einer Stärke von ca. 1,5 Mio. Soldaten aus. Das sind die zweithöchsten Verteidigungsausgaben weltweit für eines der größten Streitkräftepotenziale auf diesem Globus. Es geht daher nicht nur um mehr Finanzen für die europäische Verteidigung, sondern um mehr europäische Kooperation und Integration, letztlich um den Aufbau europäischer Streitkräfte mit strategisch globaler Schlagkraft, die eigenständig für die europäische Sicherheit Sorge tragen können. Das kostet Zeit und Geld; aber wer nicht anfängt, kommt nicht ans Ziel. Dann gäbe es auch keine Diskussion darüber, ob die Europäer überhaupt in der Lage sind, eine Sicherheitszone in Nordsyrien militärisch abzusichern. Hier liegt unsere europäische Verantwortung.

So begründet Annegret Kramp-Karrenbauer ihren Nordsyrien-Vorstoß

Kramp-Karrenbauer hatte in mehreren Interviews eine „international kontrollierte Sicherheitszone“ in Nordsyrien vorgeschlagen. Das hätte auch Konsequenzen für die deutsche Bundeswehr. Wie sie ihren Vorstoß begründet, erfahren Sie hier.

Quelle: Reuters/WELT

Fünftens: Solange wir (hoffentlich) beiderseits des Atlantiks den gleichen Werten verpflichtet bleiben und auch unsere Interessen nicht noch weiter auseinanderdriften, wäre es aus europäischer Sicht unverantwortlich, die transatlantische Brücke durch europäisches Zutun weiter bröckeln oder gar einstürzen zu lassen. Vielleicht werden auch eines Tages die „Abrissarbeiten“ an dieser Brücke in Washington wieder eingestellt. Nein, es gilt die Nato mit zwei gleich starken Pfeilern in dieser konfliktreichen Zeit bestmöglich weiter zu pflegen und vielleicht später wieder auszubauen. Denn auch zukünftig wird der Westen, Amerikaner und Europäer gemeinsam, in der Bewahrung seiner freiheitlich-liberalen Lebensordnung, für sich und andere, herausgefordert sein.

Das „Sich-Raushalten“ funktioniert nicht

EU und auch die Nato bedürfen dringend einer strategischen Neujustierung. Sonst enden wir als Europäer in der „Selbstverzwergung“, weit entfernt sind wir davon schon heute nicht. Die Verteidigungsministerin sollte mit ihrer Initiative als die sicherheitspolitische „(Anne)Gret(a)“ mit nachhaltiger und aufrüttelnder Wirkung verstanden werden, in Berlin, besonders im Kanzleramt, im Auswärtigen Amt und selbstverständlich im Deutschen Bundestag, in Brüssel und in den Hauptstädten unserer europäischen Partner und selbstverständlich besonders in Paris. An der Seine kann die Initiative vielleicht als eine erste substantielle Antwort auf den „Europa schützt“-Part der Sorbonne-Rede des französischen Präsidenten betrachtet werden.

Es geht letztlich um eine klare strategische Ausrichtung europäischer Außen- und Sicherheitspolitik, eine Beendigung der nationalen Egoismen und des „Sich-Raushaltens“ in der trügerischen Hoffnung, dass „es andere schon richten werden“. Denn europäische Handlungsfähigkeit und gezielte Sicherheitsvorsorge sind dringlicher denn je.

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Kombo Staigis Kaldrack
Quelle: privat

Armin Staigis (l.) ist Brigadegeneral a.D. Zuletzt war er Vizepräsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik Berlin. Gerd F. Kaldrack ist Oberst a.D., Politologe und freier Autor.

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